Heimspiel
zwanzig Schlappen im Sack kehrte er zum Strand zurück und verkaufte sie den Nordeuropäern für 400 Peseten das Paar. Die waren ihm dankbar, die Haut ohnehin schon krebsrot, wollten sie wenigstens in die kühlen Fluten des Atlantiks, ohne sich auch noch die Fußsohlen zu verbrennen. Manolos Schuhe ließen sie die Hölle des glühenden Strandes überwinden.
Manolo hatte immer einen schnellen Blick dafür, was andere brauchten. Das brachte ihm im Lauf der Jahre ein stattliches Vermögen ein. Nicht nur mit Badeschuhen, auch mit Eis, Spielsachen, Sonnenöl, später mit Fahrrädern, dann mit Autos. Er chauffierte sie, er vermietete sie, er verkaufte sie, schließlich verkaufte er die Vermietung und investierte in ein Hotel. Mit Badeschlappen für alle Gäste. Manolo ist reich geworden. Reicher jedenfalls als sein Onkel. Dem hat er neulich einen Opel geschenkt. Woraufhin der Onkel sich revanchierte: mit einem Paar Gummischlappen. Manolo nahm sie in seine kräftigen Hände, doch fasste er sie so zart an, als hätte er Lust, alles noch einmal von vorn zu beginnen. Der Sand, er wäre heiß genug. Und weil er genauso war, freundete er sich mit der Kanzlerin an, denn die ist genau wie er. Beide sahen sich eines Abends ein Fußballspiel an und …«
Die Büroleiterin soll aussuchen, welche Variante sie will. Am nächsten Tag entscheidet sie sich bereits für die Manolo-Story.
»Die Ramón-Geschichte mit El Cid bringt die Migranten gegen uns auf, die Manolo-Variante ist gut für die protestantischen Leistungsethiker. Das geht wunderbar.«
Zur Morgenlage in LE 7.101 referiert der Kanzleramtschef eine Tiefenanalyse des Meinungsforschungsinstituts Allensbach.
»Wir liegen zwar vorn, aber die Bindung in den klassischen Milieus wird immer poröser. Katholiken, Nationale, Wertkonservative, Unternehmer, Hausfrauen – sie alle gehen uns von der Fahne. Und mit der grünen Strategie verlieren wir junge, aktive Modernisierer, die Tech-Generation wird uns nicht wählen, wenn wir jetzt auch noch Oma-Öko-Opportunisten sein wollen.«
»Es wird schon reichen«, gibt die Kanzlerin zurück und verweist auf den deutlichen Vorsprung vor den Sozialdemokraten. »Wir sind relative Gewinner, das reicht. Gibt es sonst etwas Beunruhigendes?«
»Vielleicht«, wirft der Regierungssprecher zur Überraschung aller in die Runde. »Ich habe merkwürdig drohende Rechercheanfragen von Sat.1 erhalten.«
»Sat.1 und Recherche?«, fragt die Büroleiterin, und alle lachen.
»Die haben eine Geschichte aus Frankfurt, wo man auf einem Video die Kanzlerin angeblich im Stadion sieht.«
Der Generalsekretär senkt die Augenlider, die Büroleiterin hebt die Brauen, der Kanzleramtschef verschränkt die Arme, und der Fraktionschef blafft ein wenig zu schnell und zu laut:
»Na und? Die Kanzlerin als Fan im Stadion, das wäre doch Werbung für uns.«
Jetzt wissen alle, dass er alles weiß. Um das wiederum zu verbergen, entgegnet die Büroleiterin in belehrendem Ton:
»Es geht um die Begleitung, die auf dem Video zu sehen sein soll.«
»Was für eine Begleitung?«
»Sat.1 will einen Mann an der Seite der Kanzlerin geortet haben.«
Die Kanzlerin schweigt und denkt ans Bier im Kragen, an Attila und die hüpfenden Oxxenbacher.
»Das alles ist lächerlich, aber doch ein Warnsignal«, findet schließlich die Büroleiterin. »Wir sollten künftig immer in offizieller Begleitung ins Stadion gehen.« Das »Wir« kommt allen am Tisch normal vor, obwohl jeder weiß, dass sie nur die Kanzlerin meint. »Das ist wohl richtig, gerade im Wahlkampf. Ich brauche einen Walker.«
»Oder besser: eine Walkerin«, erwidert der Regierungssprecher.
Netzer wird beauftragt und spricht vor dem nächsten Länderspiel mit der Kapitänin der deutschen Nationalmannschaft. Anna, Innenverteidigerin. Kapitänin von Natur aus. Entschieden entschieden. Sie lacht nie zu laut. Ihr Lachen hat Maß, ohne gezwungen oder kontrolliert oder verklemmt zu sein. Sie lacht frei heraus und gern. Doch es klingt nie schrill oder scheppernd, sondern voll und warm, es kommt musikalisch rüber, dieses Lachen.
Sie steht an der Bar, wie sie alle an der Bar stehen in der VIP-Lounge des Olympiastadions. Selbstverständlich. So selbstverständlich wie ihr Lachen so selbstverständlich ist ihr An-der-Bar-Stehen. Sie hat Haltung, ohne dass ihr Haltung abverlangt würde. Sie war keine Reiche und keine Arme. Sie ist keine Schönheit und keine Schande. Aber sie strahlt die Gewissheit aus, dass etwas Bestimmtes an ihr
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