Heinrich Mueller 01 - Salztraenen
Feuerwerk in Zimmerlautstärke«. Das Dritte war das Beobachten der Natur und das Erfinden von Gegenständen, die den Umgang mit ihr üblicherweise erschwerten. Meist aber verlangsamten diese Dinge den alltäglichen Ablauf und brachten durch ihre Entschleunigung die Welt langfristig wieder in Ordnung. Im Moment beschäftigte er sich mit den Geräuschen von Wasser, in das er ein plastikumhülltes Mikrofon hielt. Er wollte den Unterschied herausfinden, den das Blubbern in kochendem Wasser von dem in Suppe verursachte. Er registrierte den Lärm aneinander reibender Teigwaren und klebenden Reises. Und wer von seinen Freunden ein Aquarium besaß, musste jederzeit damit rechnen, dass Henry die Gespräche der Fische registrieren wollte.
Außerdem arbeitete er an einem Auftrag. Deshalb war ihm der Absturz von letzter Nacht selber unerklärlich.
Henry Miller beschattete einen Objektkünstler. Damit hatte es gestern angefangen. Er war zu einer Vernissage eingeladen. Er hoffte, dass es die letzte sein würde. Bereits in den vorangegangenen Monaten hatte er mehr als einmal das nicht ungeteilte Vergnügen, bei Anlässen dieses Künstlers anwesend zu sein. Unverständliche Collagen, fragile Werke, fettreiche Snacks, knackige Weine, die einem allesamt aufs Gehirn schlugen. Dazu die Künstlergroupies, die keinen Blick übrig hatten für den Detektiv, weil er nicht so gescheit vor sich hinschwatzen konnte. Also hatte der eben gesoffen, und nicht zu knapp.
Langsam kam die Erinnerung zurück. Man war von der Galerie noch zum Atelier des Meisters gezogen. Müller hatte sich dazugesellt. Nein – er war eingeladen worden! Das schien ihm nun ziemlich überraschend. Das erste Mal, dass man ihn wahrgenommen hatte. Nach dem dritten Kaffee dämmerte es ihm auch, warum. Henry Miller, so hatte er sich den Anwesenden vorgestellt – war das peinlich! –, Henry Miller also hatte vorher in der Galerie ein unbezahlbares Meisterwerk von der Wand geschlagen. Er könnte schwören, dass er das Bild nur ganz leicht gestreift hatte, dass es gar nicht richtig festgemacht und deshalb heruntergefallen war.
Aber der Künstler hatte ihn beim Ellbogen genommen und gesagt: »Jetzt komm schon wieder hoch. Das macht doch nichts, das wird die Versicherung der Galerie bezahlen. Ist ja nicht das erste Mal. Du kommst jetzt mit zu mir, da feiern wir noch ein bisschen.«
Was sollte Heinrich Müller dazu sagen, er, der doch von der Versicherung genau deswegen zur Vernissage geschickt worden war, um herauszufinden, ob es sich bei der Häufung von Totalschäden an Kunstwerken dieses Objektkünstlers tatsächlich um Zufall oder um Versicherungsbetrug handelte. Nun war er selber zum Anlass für eine Verlustanzeige geworden. Grund genug, sich heillos zu betrinken. Er würde den Fall zurückgeben.
Eigentlich war Heinrich Müller immer lernbegierig. Auch bei seinen Ermittlungen versuchte er jeweils, von den Verbrechern zu lernen, festzustellen, welche Techniken ihm nützlich sein könnten. Das half ihm später bei seinen Recherchen. Es beruhigte ihn auch als Gedankenspiel, wenn ihn wieder mal eine Frau, die er als Freundin bezeichnet hatte, im Stich gelassen hatte. Er lag im kühlen Bett, konnte nicht schlafen, der Magen schmerzte, das Herz drückte. Er war wütend. Dann griff er zu einem Kriminalroman.
Müller las viel. In der Literatur aber gab es hauptsächlich Detektive, Polizisten, Kommissare, die zu ihrer Arbeit ein gespaltenes Verhältnis hatten. Es war meist auch keine Arbeit, sondern sie mussten einen Job erledigen, etwas Vorübergehendes, obwohl jeder wusste, dass nach dem einen Job der nächste folgen würde, der sich in nichts vom vergangenen unterschied. So aber wollte er seine Arbeit nicht sehen. Er hatte sie bei der Polizei gelernt und als Freischaffender verfeinert. Es war alles, was er in seinem Leben gelernt hatte, er hatte nichts anderes tun wollen, nichts anderes tun können.
Es lag ein Widerspruch in seinem Denken und Fühlen, vielleicht war dies der Grund für sein Gelegenheitssaufen, seine Frauengeschichten, die seltener waren, als er es sich wünschte. Oder war er selber der Anlass für die zeitweiligen Abstürze, seine Sicht der Welt der Grund für flatterhafte Bekanntschaften? Er wusste es nicht. Er mochte auch nicht darüber nachdenken. Das Leben ging viel zu schnell vorbei, als dass er sich deswegen Sorgen machen wollte.
Müller liebte seine Arbeit, wie jeder andere seine Arbeit liebte. Vor Routineaufgaben, wenn also eine Überwachung oder
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