Heinrich Spoerl
ist mit ihrer Morgentoilette noch nicht fertig; Sprengwagen fahren umher, und Männer in Schirmmützen drücken ihre Gummischieber über den nassen Asphalt, Blumenfrauen schlagen ihre bunten Stände auf, Verkäuferinnen in dünnen Blusen und verspätete Büroangestellte beeilen sich. Sie können nicht mitfahren. Man hat ihnen gegenüber eine Mischung von Überheblichkeit und Mitleid. Der Autobus hat sich aus der Enge der Innenstadt herausgearbeitet und rollt durch freundliche Vororte. Herr Platte, der seinen Sitz hinter dem Fahrer hat, steuert in Gedanken mit; er möchte Gas geben, wo der Fahrer zögert, krampft die Füße, wenn man einen Laster oder einen kleinen Wagen überholt, und beschimpft jeden Radfahrer, der nicht respektvoll zur Seite weicht. Das korpulente Ehepaar hat bereits ein appetitliches Fresskörbchen auf dem Schoß und futtert knusprige Brötchen, aus denen fingerlang der gekochte Schinken heraushängt; das Pärchen aus dem Magazin sitzt eng aneinandergeschmiegt und blickt sich in die Augen; die Studienrätin betrachtet mit Mißbilligung das verliebte Gebaren, aber dann entdeckt sie an den verschlungenen Händen die blitzblanken Eheringe und ist offensichtlich beruhigt. Hochzeitsreisende!
Der Wagen hat die Stadt hinter sich gelassen und rauscht durch die freie Landschaft, an Wiesen vorbei, durch Obstbaum- und Pappelalleen. Die Sonne ist durchgekommen, ein letzter Rest von Dunst hängt in den graugrünen Weiden. Man ahnt die Nähe des Stromes, ohne ihn zu sehen. Da erhebt sich der Reiseleiter und beginnt an einer Kurbel zu drehen. Das Rolldach schiebt sich langsam nach hinten, von oben flutet Himmel und Sonne in den Wagen, ein frischer Wind fasst in die Reisegesellschaft und bläst ihr den Staub der Großstadt von Leib und Gemüt; er fährt der rosigen Paula in die Löckchen, die Studienrätin pumpt sich die Brust voll Luft, Delius nimmt seine Mütze ab und wirft sie in Netz, und sogar der alte Mann im Sonntagsanzug nickt wohlgefällig und tut sich ein Flöckchen Watte ins Ohr. Man fühlt sich plötzlich aufgeschlossen und verbunden, und das erste allgemeine Gespräch bahnt sich an.
»Wir bekommen einen schönen Tag«, beginnt mutig der Stille.
»Ich fahre nämlich sonst meinen eigenen Wagen«, sagt Herr Platte etwas unvermittelt.
Und die Studienrätin verkündet: »Das ist immerhin schon die vierte Fahrt, die ich auf diese Weise mache.«
»Ist ja auch so billig«, sagt darauf der Missvergnügte. Alle sehen sich nach ihm um und fühlen sich getroffen. Das Gespräch, mühsam in Gang gebracht, ist gemordet.
Der Reiseleiter nutzt die entstandene Leere und kniet, sich nach rückwärts wendend, auf seinen Sitz: »Meine Damen und Herren, es wird Ihnen nicht entgangen sein, daß ich der Reiseleiter bin. Das ist ein verwickeltes Amt, denn es bedeutet gleichzeitig Vergnügungskommissar, Auskunftsbüro, Kunstsachverständiger, Wetterprophet, Schlichter und Tröster. Es gibt nichts, was ich nicht bin. Ich bin vertraglich verpflichtet, es jedem von Ihnen recht zu machen, ich verspreche alles, was Sie von mir wünschen, und wenn ich es nicht halte, dann tue ich es so, daß Sie es nicht merken. Ich bin verpflichtet, alles zu beantworten und alles zu wissen; ob es immer richtig ist, das ist das Einzige, was ich nicht weiß. Vor allen Dingen bin ich vertraglich angestellter Generalsündenbock, ich bin schuld am Essen, am Regen, an Ihren Kopfschmerzen, ich bin an allem schuld, was auf dieser Fahrt passiert. und an dem, was nicht passiert. In diesem Sinne, meine Damen und Herren, wünsche ich Ihnen eine fröhliche und genussreiche Fahrt.«
Ein geübtes Ohr hätte hören können, daß er diese Rede nicht zum ersten Male hält. Die Reisegesellschaft hat kein geübtes Ohr, sondern freut sich, daß sie einen so witzigen Reiseleiter hat; Fräulein Paula gluckst vor Vergnügen, der alte Mann hat nicht alles verstanden und fragt seinen Nachbarn, und die Elegante spendet mit zwei Fingern vornehmen Beifall.
Delius hat nur halb zugehört und überdenkt seine Lage. Merkwürdig, wie mit jedem Kilometer all das verblasst, wovon er sich lösen wollte; es kommt ihm schon fast unwirklich vor, so, als hätte er es nicht erlebt, sondern gelesen. Diese Reise war einer der besten Einfälle seines Lebens. Hier ist nichts mehr um ihn, was ihn an seine missglückte Ehe erinnern könnte, nur Sonne, Land, Wind und ein paar nette, harmlose Leute, die man sich übrigens einmal näher ansehen sollte.
Er wendet den Kopf unauffällig nach
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