Heinrich Spoerl
sieht ihn eiskalt an: »Ich habe Vollmacht von meinem Bruder. Wenn Sie mir etwas mitzuteilen haben, dann tun Sie es bitte über unsere Anwälte.«
Der Oberpostrat schüttelt den Kopf: »Seit wann sagst du denn ›Sie‹ zu mir?«
»Unter Verwandten, die in Scheidung liegen, ist das die passende Umgangsform. Im übrigen ist mein Bruder verreist und kommt vor drei Wochen nicht zurück.«
Auf dem Bahnhofsvorplatz der nächsten Stadt hält der Autobus mit einem unwilligen Ruck. Die vordere Tür geht auf, heraus springt Delius und läßt sich vom Fahrer die Koffer herunterreichen. Gleichzeitig hat sich auch auf der anderen Seite die hintere Tür geöffnet, der Reiseleiter hilft Frau Delius beim Aussteigen und stellt ihr Gepäck auf die Straße. Da ertönt auch schon ungeduldig die Dreiklanghupe, die Türen schlagen zu, und ehe die Ausgestiegenen es sich versehen, ist der Autobus zwischen ihnen davongefahren.
Nun stehen sie sich auf dem holprigen Pflaster gegenüber, nur noch getrennt durch ein paar Meter Luft, und sehen sich verblüfft an. Dann tun sie einen langen traurigen Blick hinter dem Autobus her, der gerade, ein blaues Wölkchen hinter sich lassend, um die Ecke der nächsten Straße verschwindet.
Die schöne Reise! Beiden ist das Weinen nahe. Sie messen sich mit feindseligen Blicken, nehmen mit einem wütenden Griff ihr Gepäck und gehen nach verschiedenen Seiten davon.
Wenige Minuten später steht Frau Delius, immer noch etwas verwirrt, am Schalter und löst die Fahrkarte für die Heimfahrt.
»Dritter?«
»Wie bitte?« Wenn sie gewußt hätte, daß ihr Mann auch aussteigt –.
»Ob Sie zweiter oder dritter fahren?«
»Dritter – nein, zweiter natürlich.« Unter diesen Umständen hätte sie die Fahrt doch gar nicht abzubrechen brauchen.
»Eilzug?«
»Ja – das weiß ich nicht, wie kann ich da überhaupt fahren, können Sie mal nachsehen?« – Der Mann hinter dem Schalter tut einen Blick auf den Fahrplan: »Sie können fahren entweder elf Uhr vierundzwanzig direkt – oder –«
»Warten Sie mal, mir fällt gerade ein – jetzt wo er nicht mitfährt, kann ich ja ruhig dabei bleiben – können Sie mal nachsehen, ob ich das noch mit einem Zug erreiche, um ein Uhr ist gemeinschaftliches Mittagessen in –« Sie holt hastig aus ihrer Handtasche das hektographierte Reiseprogramm und blättert darin herum.
Hinter ihr murren die Leute und der Beamte wird ungeduldig: »Ja. was denn nun, erst wollen Sie dahin und dann auf einmal dahin, überlegen Sie erst mal in Ruhe, wo Sie überhaupt hin wollen, und dann stellen Sie sich hinten wieder an.« –
Doktor Delius ist draußen auf dem Vorplatz geblieben. Als er seine Frau in dem Bahnhof verschwinden sieht, schnappt er sich ein wartendes Taxi: »Hallo, Sie, ich bin ein bisschen eilig, können Sie mal schnell –«
»Nein.«
»Wieso nein?«
»Schnell kann ich nich, das tut mein Wagen nich mit.«
Doktor Delius überzeugt sich mit einem flüchtigen Blick auf das klapprige Gefährt und wendet sich an das dahinter wartende Taxi:
»Schönen Wagen haben Sie da, der fährt wohl gut und gerne seine achtzig?«
Der Fahrer schmunzelt geschmeichelt: »Das will ich meinen, Herr.«
»Großartig. Können Sie mich dann vielleicht –?«
»Ich kann schon. Aber ich darf nicht.«
»Was soll denn das schon wieder?«
»Erst kommt der da vorne dran, das geht hier der Reihe nach.«
»Heiliges Donnerwetter, ist das bei Euch hier eine Wirtschaft! Der eine kann nicht, der andere darf nicht, und ich muß die Leute bis zum Mittagessen eingeholt haben.«
Steile weiße Sonne liegt auf dem Autobus, der in der Seitengasse eines verträumten Städtchens abgestellt ist und seinen Mittagsschlaf hält. Die Straßen sind heiß und ausgestorben, nur ein paar Kinder spielen an dem Wagen herum und malen mit ihren kleinen Fingern Männchen und Namen auf den warmen, staubigen Lack, klettern über die dicke Motorhaube und rutschen auf den Kotflügeln wieder herunter. Der Fahrer sitzt in dem niedrigen Gastzimmer beim Essen und klopft von Zeit zu Zeit warnend an die Fensterscheiben; dann stiebt alles wie Spatzen auseinander, und ist nach einer halben Minute wie die Spatzen wieder da.
Im Wirtshausgarten, um die Ecke herum, hat sich die Reisegesellschaft an einer langen Tafel ausgebreitet. Die Reiseleitung führt ihre Schäflein nicht in die so genannten Ersten Hotels, die in der ganzen Welt das gleiche Gesicht haben; sie ist klug und sparsam genug, solche Gasthäuser auszuwählen,
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