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Heinrich Spoerl

Heinrich Spoerl

Titel: Heinrich Spoerl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: ADMIN JR.
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die die Eigenart des Ortes am besten widerspiegeln. Der ›Schwarze Anker‹ ist alt und zehrt von seinem Ruf; sein Garten liegt fest am Wasser, man sitzt unter dem leuchtenden Laubdach gestutzter Platanen, und auf dem Strom sieht man flinke weiße Motorboote und mühsam wühlende Schlepper; die Wellen planschen gegen die morschen Mauersteine, und ein weicher Wind spielt in den Zipfeln des langen Tischtuchs. Dazu gibt es Stangenspargel und Schweinekoteletts.
    Das erste Mittagessen auf einer solchen Fahrt ist von besonderer Bedeutung; es läßt erkennen, wie die Reisegesellschaft beschaffen ist und sich zu benehmen gedenkt, und wie der Reiseleiter mit ihr fertig wird.
    Es gibt zwei Sorten von Reiseleitern, Autokraten und Demokraten. Der autokratische läßt nicht mit sich spaßen, er ist der Mann mit der Uhr in der Hand, beim Essen, beim Einsteigen, bei den Besichtigungen und beim Einkaufen, jede Minute ist vorgeschrieben und aufgeteilt, er bestimmt, wann wir Hunger haben und wann wir müde sind, was uns gefällt und was uns nicht gefällt, und wann wir uns die Hände waschen; niemand wagt sich aufzulehnen, und wenn die Reise überstanden ist, hat man viel gesehen – und nichts erlebt. Der demokratische Reiseleiter hält es umgekehrt. Auch er hat sein Programm in der Tasche, aber er läßt mit sich reden und richtet sich nach der Laune der Gesellschaft und des Wetters, führt sein Häuflein anstatt in die vorgeschriebene Galerie auch mal in eine Konditorei und gibt ihm so viel Freiheit, als mit dem Wohlbefinden und der Sicherheit seiner Schützlinge vereinbar ist; er hat eine leise Stimme, und sein Ideal wäre es, nicht bemerkt zu werden. Auch er erntet keinen Dank, man ärgert sich über ihn und die Schlamperei und schreit nach Zucht und Pünktlichkeit; aber am Schluss der Reise merkt man, daß alles sehr schön war. und kommt zu der Erkenntnis: Es geht auch so.
    Unser Reiseleiter ist von der zweiten Sorte. Er benutzt die durch den Spargel bedingte Gesprächspause, um unauffällig an sein Glas zu klopfen:
    »Meine Damen und Herren, Sie sind nun hundertachtzig Kilometer von zu Hause fort, heute Abend werden es über dreihundert, morgen schon fast siebenhundert sein. Ich hoffe, daß Sie sich mit der zunehmenden Entfernung auch gedanklich und seelisch von all dem absetzen, was Sie beengt und belastet, und sich hier zu einer großen fröhlichen Familie zusammenschließen. Zu diesem Zwecke muß ich Sie zunächst miteinander bekannt machen. Ich verlese der Reihe nach Ihre Namen und bitte den jeweilig Aufgerufenen, sich bemerkbar zu machen. – Herr und Frau Mengwasser!«
    Der Herr aus dem gewerblichen Mittelstand nimmt die Papierserviette aus dem Westenausschnitt, lüftet seinen Sitz und sagt mit heller Stimme: »Pröstchen allerseits!« Seine Gattin aber grüßt vornehm mit den Augen im Kreise.
    »Sodann käme –« Der Reiseleiter blickt auf seinen Zettel. »Fr. Jaenecke. Frau oder Fräulein?«
    »Dieser Unterschied, Herr Reiseleiter, ist nicht zeitgemäß, aber damit sich die Herrschaften den Kopf nicht zerbrechen: Ich heiße mit Vornamen Erna, bin achtundvierzig Jahre alt, von Beruf Studienrätin, Hauptfach Biologie und Englisch. So!« Sie setzt sich mit einem Ruck.
    »Und nun – Herr Knörig!«
    Der Missvergnügte rührt sich nicht.
    »Darf ich den Herrn vielleicht bitten, aufzustehen oder die Hand zu erheben?«
    »Ich bin hier doch nicht in der Schule!« knurrt der Aufgerufene und schneidet seine Spargel.
    »Also der Herr, der nicht in der Schule ist, das ist unser lieber Herr Knörig. Weiter – Herr und Frau Schmidt!«
    Das süße Paar mit den blitzblanken Ringen zuckt leise zusammen, erhebt sich mit niedergeschlagenen Augen und setzt sich still und gleichzeitig wieder hin. Die daneben sitzende Studienrätin aber legt ihnen wohlwollend ein zweites Kotelett auf den Teller.
    »Fräulein Paula Hitze!«
    Die semmelblonde Paula im plastischen Pullover hat sich gerade in einen überdicken Spargel verbissen und kommt nicht davon hoch, sie steht nur hinten auf und wird dunkelrot.
    »Entzückender Balg, muß man im Auge behalten«, sagt Platte leise zu Herrn Mengwasser. – »bisschen dumm sieht sie aus.«
    »Eben darum«, sagt Platte, der Kenner. »Sorte: das Fleisch ist willig, aber der Geist ist schwach.« Sie flüstern und haben sich gefunden.
    Nachdem man allseitig bekannt gemacht ist, hat man das gesellschaftliche Recht, miteinander zu sprechen. Allerdings weiß man vom einzelnen noch nicht, was er ist und was

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