Heinrich Spoerl
Handköfferchen, der geduldig wartet, daß sich jemand um ihn kümmert, und die unternehmungslustige, etwas knochige Studienrätin in Schnürstiefeln und Lodenkostüm, die sich energisch dagegen wehrt, daß man ihr beim Heraufreichen des Koffers oder gar beim Einsteigen behilflich sein will; da ist ein freundlicher, etwas geräuschvoller Herr in übermäßig karierter Mütze, der sich allen Leuten als Karl Platte vorstellt und mit seinem gelben Spazierstock fachmännisch die schweren Reifen des Wagens beklopft, sodann ein junges, ein sehr junges Pärchen, süß und nichts sagend wie aus dem Titelbild eines Magazins entlaufen, und ein undurchsichtiger, korrekter Herr, der bewußt etwas abseits steht, weil er mehr ist als die anderen, dann ein semmelblondes Fräulein in plastischem Pullover, der man ansieht, daß sie Paula heißt, schließlich noch ein missvergnügter Herr unbestimmbaren Alters mit hochgeschlagenem Kragen, und eine elegante, etwas abgeblühte Dame in buntseidenem Reisemantel, gefolgt von einer Unzahl wohlriechender Koffer und Köfferchen, und auch noch ein stiller, diskreter Herr, der dadurch auffällt, daß er nichts Auffallendes an sich hat. Sie sind alle fremd untereinander, jeder sieht den anderen mißtrauisch und musternd an. So steht man um den Wagen herum und wartet, was mit einem geschieht, und alle sind ein bisschen aufgeregt, obgleich sie wissen, daß der Autobus nicht eher abfährt, als bis der Letzte von ihnen verladen ist.
Mittelpunkt dieser Ansammlung ist der Reiseleiter, kenntlich durch das silberne Abzeichen im Knopfloch. Er begrüßt die Ankommenden und weiß ihre Namen, nimmt ihnen das Gepäck ab und läßt es vom Fahrer auf dem Dach des Wagens verstauen, hilft beim Einsteigen, prüft Listen, Papiere und Pässe und beantwortet Fragen und gibt Erklärungen und Auskünfte, läuft um den Wagen herum und zwischendurch noch einige Male ins Büro zurück und ist überall.
Delius bezieht seinen Fensterplatz und macht es sich bequem. Jetzt, nach dem Wirbel der Reisevorbereitung, ist er in Ruhe und hat ein wohliges Besitzgefühl; es ist zwar nicht sein Wagen, aber immerhin sein Sessel, der ihm nun für drei Wochen gehört. Er saugt mit Behagen die Luft ein, die anregend nach Benzin und Leder riecht, und ist auch sonst mit dem Wagen zufrieden, besonders mit den großen Fensterscheiben, die nach allen Richtungen freie Sicht geben; sogar die seitlichen Rundungen des Daches sind aus Glas, damit man von den im Prospekt angekündigten hohen Bergen nicht die obere Hälfte versäumt.
Inzwischen haben auch die übrigen Reisegenossen von dem Wagen Besitz ergriffen. Fräulein Paula blickt freundlich um sich und hat glühende Bäckchen: An welcher Seite, bitte, bekommt man mehr zu sehen, rechts oder links? Der Reiseleiter kennt die Frage und hat die Antwort bereit: Immer an der Seite, mein Fräulein, an der man nicht sitzt. Der Herr aus dem gewerblichen Mittelstand will wissen, wann eigentlich Mittag gemacht wird, und bezieht von seiner Frau einen leisen Verweis in die Seite. Die Elegante bläst ein zierliches Luftkissen auf und legt es sich in den blassblonden Nacken. Der Missvergnügte aber sitzt steif in Hut und Mantel und rückt auf seinem Sitz hin und her und sieht nach der Uhr: Schon drei Minuten darüber, das fängt ja gut an. Draußen vor dem Autobus steht nur noch der Reiseleiter; er scheint auf etwas zu warten. Aber schon kommt ein Taxi angefahren und hält mit knirschenden Bremsen; eine junge Dame in grauem Reisekleid, einen kleinen Hund unter dem Arm, springt heraus und wird vom Reiseleiter hastig begrüßt und mitsamt ihrem Gepäck durch die hintere Tür in den Autobus verfrachtet. »Vielen Dank, daß Sie auf mich gewartet haben.«
Fertig! Der Reiseleiter springt als letzter in den Wagen, und der Fahrer, dessen massigen Hals und breite Schultern man von hinten schon bewundert hat, legt seine fleischigen Hände auf das Lenkrad. Der Motor brummt auf, die Dreiklanghupe gibt ihr fröhliches Signal, dann ruckt der Wagen an und setzt sich majestätisch in Bewegung.
Ein glückliches Aufatmen geht durch die kleine Gesellschaft. Jetzt ist es soweit, es kann nichts mehr dazwischenkommen. Es ist ein großer Augenblick, man hat alle Herrlichkeiten vor sich, ist noch nirgendwo enttäuscht und bebt vor Erwartung. Delius legt den Reiseplan und die Landkarten, in die er sich bisher mit wissenschaftlicher Gründlichkeit vertieft hat, beiseite und blickt hinaus auf die vorbeigleitenden Straßen. Die Stadt
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