Heinrich Spoerl
er tut, was er hat und was er kann. Aber das bekommt man bald heraus. Was freiwillig nicht erzählt wird, das ergründet man durch vorsichtiges Abtasten oder unvermutete Fragen und ergänzt das Fehlende durch kühne Kombinationen. Mit diesem lustigen Gesellschaftsspiel werden die beiden ersten Tage der Reise, die vielleicht landschaftlich noch nicht so eindrucksvoll sind, angenehm gewürzt. Man erfährt, daß der eigene Wagen des Herrn Platte ein dreirädriges Lieferwägelchen ist, mit dem er die reparierten Schreibmaschinen in die Kundschaft fährt, daß Herr Mengwasser der Inhaber des bekannten Fensterputzinstitutes ›Klarer Blick‹ ist und seinen Teilhaber schon vor zwei Jahren abgefunden hat; daß der Missvergnügte eine Bonbonfabrik besitzt und seine Maschinen aus Belgien bezieht und daß der Korrekte, der mehr ist als die anderen, den Vorsitz im Bezirksausschuß führt, und die Neffen und Nichten ›Onkel Regierungsrat‹ zu ihm sagen; die plastische Paula aber ist die Tochter einer gut gehenden Bäckerei mit täglich fünfmal frischen Brötchen; der alte Mann im Sonntagsanzug war achtunddreißig Jahre lang Lagerverwalter in einer Samenhandlung, nun lebt er von seiner Altersrente und wundert sich über den Wechsel der Zeit. Nur bei der Eleganten kommt man nicht dahinter, sie bleibt zurückhaltend und undurchsichtig, und das verleiht ihr den besonderen Reiz.
Mitten im Mirabellenkompott gibt es eine Sensation: Am Eingang des Gartens erscheint Frau Delius mit ihrem Hund an der Leine und einem halbwüchsigen Burschen, der ihr den Koffer trägt. Sie ist etwas erhitzt und hinter Atem, vielleicht auch ein bisschen verlegen. Die Gesellschaft steckt die Köpfe zusammen, ein Raunen geht über den Tisch: Das ist doch die, die unterwegs ausgestiegen ist, zusammen mit dem Herrn, die wollten doch allein sein, wo hat sie denn den Galan?
Der Reiseleiter ist aufgesprungen und geht ihr entgegen, bietet ihr seinen Stuhl an, nimmt ihr den Mantel ab und ruft nach dem Kellner. Dann blickt er suchend umher: »Und der Herr Gemahl?«
»Ach, Sie meinen den? Der ist nach Hause zurück.«
»Wie schade. Hat ihm etwas nicht gefallen?«
»Doch sehr.« Sie lächelt dünn. »Ich weiß es nicht.«
***
Der Motor surrt, die Räder rauschen. Es ist erstaunlich still im Autobus. Man ist früh aufgestanden und hat viel Sonne und Wind gehabt, man hat gut zu Mittag gegessen und Wein dazu getrunken und viel geredet. Jetzt ist man müde und schmiegt sich in die Polstersitze, sieht nicht die vorbeiziehende Landschaft und hört nicht den Reiseleiter, der pflichtgemäß sein Sprüchlein spricht und die Gegend geographisch und historisch erläutert; er tut es mit gedämpfter Stimme, um den Schlaf der Reisenden nicht zu stören, bis auch er, sich der Allgemeinheit angleichend, sanft entschlummert.
Wach allein ist der wackere Mann am Steuer. Er achtet auf die Landstraße, die heiß und flirrend vor ihm liegt, und wirft von Zeit zu Zeit einen Blick in den Rückspiegel und wundert sich über das kleine klägliche Taxi, das schon eine Zeitlang hinter ihm liegt und sich offensichtlich abmüht, ihn zu überholen.
Auch ein Autobusfahrer hat seinen Ehrgeiz. Er kennt die Rangordnung der Landstraße und die Wagen, die schneller sind. Von diesem kleinen Insekt da hinter ihm läßt er sich nichts vormachen. Er gibt Gas. Aber es nutzt ihm nichts, ein Bauer geht mit seinem breitgeladenen Heuwagen nicht aus dem Wege, so daß der Autobus bremsen und schließlich sogar anhalten muß. Und schon klopft jemand von hinten an die Scheibe. Alle Köpfe wenden sich: Was ist los? – »Sie, merken Sie denn nicht, daß ich mit will?« ruft Doktor Delius.
Der Reiseleiter springt nach hinten, öffnet die Tür und hilft ihm beim Einsteigen, dann macht er die Tür wieder zu, und der Autobus rollt weiter. »Das ist aber hübsch, Herr Doktor, daß Sie sich doch noch entschlossen haben.«
»Selbstverständlich. Jetzt, wo sie zurückgefahren ist, steht mir ja nichts mehr im Wege, was soll ich da zu Hause, da läuft sie mir höchstens über den Weg, hier bei Ihnen bin ich wenigstens sicher, daß ich sie nicht –« Er bricht ab und weiß gar nicht, warum die Reisegesellschaft lacht und der Reiseleiter ein so betretenes Gesicht macht. Dann erblickt er seine Frau, die vorn auf seinem Platz sitzt und ihn fassungslos anstarrt.
Er blickt sich hilflos um; sein Taxi hat gewendet und ist in der Ferne nur noch ein kleiner Punkt. Der Autobus liegt wieder in voller Fahrt, und die Leute
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