Heinrich Spoerl
finden das alles sehr lustig und machen kein Hehl daraus und sind gespannt, wie das jetzt weitergeht.
Delius läßt sich mit einem dicken Gesicht ins Polster fallen; ihm ist jetzt alles gleich, er will doch mal sehen, wer den härteren Kopf hat.
Auch Frau Delius läßt es darauf ankommen.
***
Am Abend bei der Ankunft in dem süddeutschen Gasthof gibt es einen Sturm auf die Rezeption.
Der Sturm scheint sinnlos, denn die nötige Zimmerzahl ist von der Reiseleitung vorbestellt. Er ist keineswegs sinnlos, denn die Zimmer sind unterschiedlich: es gibt solche nach Süden und nach Norden, mit Aussicht und ohne Aussicht, manche liegen im ersten Stock und manche im dritten, manche neben dem Badezimmer oder über der Küche, manche haben auch einen polierten Schrank und manche keinen. Die Leute aber haben für die Reise den gleichen Preis bezahlt und verlangen die gleiche Leistung.
Infolgedessen quirlen sie in einer dicken Traube um das Pult, an dem der Reiseleiter zusammen mit dem Portier die Nummern verteilt, und dann stürmen sie fiebernd die Treppen hinauf, um das angewiesene Zimmer zu beziehen, vor allem aber, um durch geöffnete Türen mißtrauisch in die der anderen zu spähen. Denn darum geht es: Man nimmt nicht Anstoß an dem schlechten Zimmer, das man selber hat, sondern an dem besseren, das der andere bekommt. Das bessere Zimmer ist mehr als eine Frage des Komforts, es ist der Maßstab für das Ansehen, das man beim Reiseleiter hat und bei den Mitreisenden zu haben wünscht.
Der Reiseleiter könnte sich aller Beschwerde und Verantwortung entziehen und die Zuteilung dem Hotel überlassen. Hotel aber heißt in diesem Falle »Portier«, und ein Portier ist keine Verkörperung der himmlischen Gerechtigkeit. Er nimmt Trinkgelder.
Man könnte auch daran denken, die Zimmer zu verlosen; vor dem blindwaltenden Zufall sind alle Menschen gleich. Aber sie wollen gar nicht gleich sein. Jeder will mehr: Der eine, weil er alt und nervös ist, der andere, weil er es die Nacht vorher besonders schlecht gehabt hat, der nächste, weil er bereits zum vierten Mal mitfährt und alter Stammkunde ist. Alle wollen es besonders gut haben, die einen, weil sie es von Hause so gewohnt sind, und die anderen, weil sie es im Leben auch mal gut haben möchten.
Unser Reiseleiter hat alle Möglichkeiten versucht; Ärger gibt es auf jeden Fall. Infolgedessen verzichtet er auf jedes System, verteilt die Zimmer, wie es gerade kommt, und läßt die Folgen mit eingezogenem Kopf über sich ergehen.
Auf dieser Reise hatte er allerdings noch einen besonderen Kummer, der ihn die letzten zwei Stunden der Fahrt sichtlich bedrückte. Wie soll man die Delius unterbringen? Einerseits sind sie miteinander verheiratet, also gehören sie in ein Doppelzimmer, andererseits sind sie im Augenblick böse miteinander, somit wären getrennte Zimmer am Platze; das gemeinsame Zimmer könnte allerdings Ausgangspunkt einer schnellen Versöhnung werden, es kann sich aber auch gegenteilig auswirken und zu einer Verschärfung der Lage führen. Er denkt lange darüber nach und findet einen goldenen Mittelweg: Er legt die beiden Delius in zwei nebeneinander liegende Einzelzimmer und sorgt dafür, daß die Verbindungstür nicht zugeriegelt ist. Nun können sie es halten, wie sie wollen.
Diese Überlegung hatte ein Loch. Die Ehegatten erfuhren nichts von ihrer Nachbarschaft, als sie ihre beiderseitigen Zimmer bezogen, auch nicht, als sie sich am Abend, ermüdet von der Reise und erfrischt durch den allgemeinen Abendspaziergang, zu Bett begaben. Die dünne Verbindungstür hat lediglich die Wirkung, daß Frau Delius sich durch den unangenehmen Nachbarn gestört fühlt, der offenbar keinen Schlaf findet und rücksichtslos nach Junggesellenart in seinem Zimmer auf und ab wandert. Sie hat nicht den Mut, selbst um Ruhe zu klopfen, sondern klingelt dem Zimmermädchen: »Wollen Sie bitte den Herrn nebenan fragen, was er sich dabei denkt, und ob das die ganze Nacht so gehen soll. Wer ist das überhaupt, dieser schlecht erzogene Mensch?«
»Ich weiß es nicht, gnädige Frau, er gehört zu Ihrer Reisegesellschaft, eigentlich ein sehr netter Herr.«
Ein netter Herr, von der Reisegesellschaft? Und nun glaubt sie auch, den Schritt zu erkennen. »Hören Sie, Fräulein, ist das vielleicht so ein großer Blonder, Anfang dreißig, mit einem schmalen Gesicht und einer Brille, und ein bisschen überarbeitet?«
»Ja, das ist er, gnädige Frau. Soll ich ihm etwas bestellen?«
»Um Gottes
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