Heinrich Spoerl
willen, nein!«
Inzwischen läutet es draußen Sturm. Delius hat durch die dünne Tür die Stimme seiner Frau erkannt und fährt das herbeieilende Zimmermädchen an: »Wie kommt es, daß die Zimmer nebeneinander liegen?«
»Die waren immer so.«
»Ich weiß es nicht, aber wenn es dem Herrn unangenehm ist?«
»Was heißt unangenehm? Ich möchte nur wissen, was die Tür bedeutet, ist sie offen oder verschlossen?«
»Ganz wie der Herr wünscht, aber die Dame hat sich auch schon nach Ihnen erkundigt.«
»Unsinn, die Dame hat den gleichen Wunsch wie ich. Schließen Sie die Tür ab. Aber laut, damit sie es hört!«
Frau Delius bleibt die Antwort nicht schuldig. Sie klingelt wieder nach dem Zimmermädchen und schiebt mit ihr den Kleiderschrank mit lautem Gerumse vor die Tür. Damit er weiß, woran er ist.
Dann gehen sie auf beiden Seiten zu Bett und versuchen zu schlafen, mit verhaltenem Atem und verwickelten Gefühlen. Sie wissen jetzt, daß sie einander nahe sind, nur getrennt durch eine dünne Wand und einen leichtfertigen Prozess, und sie geben sich Mühe, an etwas anderes zu denken.
***
›Delius contra Delius‹ steht auf dem Aktenschwanz, der aus dem ansehnlichen Aktenstück heraushängt. Und dieses Aktenstück liegt auf dem Schreibtisch des fleißigen Rechtsanwalts, der gerade den Vater der Frau Delius vor sich hat.
»Gut, daß Sie kommen, Herr Oberpostrat, ich wollte eben an Sie schreiben. Haben Sie Ihre Frau Tochter nicht mitgebracht? Macht nichts, ich bin ganz im Bilde, und Sie wissen ja ebenfalls Bescheid. Ich habe noch einmal gründlich über den Fall nachgedacht und bin diese Nacht zu einer Erleuchtung gekommen: Wissen Sie, was wir jetzt machen müssen?«
Der Oberpostrat weiß es nicht und hängt an seinen Lippen.
»Einen fulminanten Schriftsatz müssen wir machen, mal neuen Schwung in die Sache bringen, dann wird es schon werden. – Was haben Sie denn da mitgebracht?«
Der Oberpostrat schnürt mit zittrigen Händen ein kleines Paket auf. »Herr Rechtsanwalt, Sie sagten doch, das wäre wichtig; ich habe sie aus der Mülltonne zusammengesucht, aber sie sind nicht mehr ganz vollständig.« Er legt eine Anzahl größerer und kleinerer Scheiben auf den Tisch und versucht, sie zu dem ehemaligen Fruchtteller zusammenzusetzen.
Der Anwalt aber diktiert bereits seiner Sekretärin: »Schriftsatz: In Sachen Delius gegen Delius überreiche ich in der Anlage den zertrümmerten Teller zu den Gerichtsakten und bitte um sorgfältige Aufbewahrung dieses wichtigen Beweisstückes. Aus der Zahl und Form der Bruchstücke ist ersichtlich, mit welch hemmungsloser Brutalität der Angeklagte den Teller geschleudert hat. Beweis: Sachverständigengutachten. Wenn der Beklagte demgegenüber zu behaupten wagt, ein zerschmissener Teller sei eine harmlose, im Eheleben übliche Demonstration des Unwillens, dann hat er von dem Wesen der Ehe und den ehelichen Umgangsformen eine höchst traurige Auffassung. Es ist anzunehmen, daß der Beklagte mit diesem Wurf seine ahnungslos schlafende Gattin treffen und körperlich verletzen wollte, ja, ihr vielleicht sogar nach dem Leben getrachtet hat. Punkt. Fertig!«
Der junge Anwalt ist stolz auf sein Werk, er reibt sich die Hände und pustet die überflüssige Luft aus.
Der alte Postrat ist weniger erbaut und meint betreten: »Herr Rechtsanwalt, wenn ich dazu etwas bemerken dürfte – ist das mit dem ›nach dem Leben getrachtet‹ nicht doch vielleicht ein bisschen übertrieben?«
»Übertrieben? Natürlich. Man muß übertreiben.«
»Warum muß man übertreiben?«
»Weil die Richter doch nur die Hälfte glauben.«
»Warum glauben die Richter nur die Hälfte?«
»Weil sie wissen, daß man übertreibt.«
***
»Haben Sie das gelesen, Herr Justizrat. Aber das lassen wir nicht auf uns sitzen, können Sie da keine Beleidigungsklage machen, ist ja geradezu lachhaft, und alles wegen so einem verrückten Teller, aber schuld ist nur das Hundebiest, das lassen Sie sich von mir – Verzeihung, störe ich Sie auch nicht?«
Die Schwester des Doktor Delius sitzt in dem schwellenden Klientenklubsessel vor dem Schreibtisch des vielbeschäftigten Justizrates, der gerade ein Telephongespräch führt: »Nein, Herr Präsident, ich habe mich dazu schon eingehend geäußert, ich halte die Fusion im Augenblick für verfrüht, aber wir können sie ja in der Aufsichtsratssitzung noch einmal zur Sprache bringen.« Er hängt ein und sieht Fräulein Delius fragend an. »Verzeihung, mit wem habe ich
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