Heinrich Spoerl
schweigen. Nichts ist ins rechte Licht gerückt.
Am schlechtesten ist das Wetter, wenn es nicht einmal schlecht ist. sondern undramatisch ohne Sturm und peitschenden Regen, ein trübes, nichts sagendes Zwischenwetter. Dann kriecht eine lastende Langeweile herauf. Die Reisegenossen werden unduldsam und gereizt, Platte erzählt Witze am laufenden Band und fällt auf die Nerven, der Regierungsrat spricht kein Wort und fällt damit erst recht auf die Nerven, Mengwasser will durchaus im Autobus rauchen und stößt auf stürmischen Widerspruch der Nichtraucher: Wie kommen wir dazu, verunreinigte Luft einzuatmen und körperliches Unbehagen zu erdulden, nur damit andere sich durch Verbrennen von Blattwerk ein zusätzliches Wohlgefühl verschaffen? Der Reiseleiter wird um Entscheidung angerufen und schlägt Abstimmung vor. Die Minderheit protestiert: Wo steht geschrieben, daß wir uns der Mehrheit unterordnen müssen? Gut, dann wird man zunächst über diese Vorfrage abstimmen. Und Doktor Delius stellt fest: Dann soll also zunächst die Mehrheit darüber entscheiden, ob die Mehrheit entscheiden soll? Damit gerät der Autobus in die Bahn der Politik, man spricht über Demokratie und streitet über den vieldeutigen Begriff. Der Regierungsrat stellt die Frage: Was ist überhaupt Demokratie? Und der Stille formuliert die Antwort: Demokratie ist das kleinere Übel.
Dem Reiseleiter wird es unbehaglich, er biegt das Gespräch zurück: »Meine Damen und Herren, wir sprachen vom Rauchen. Wollen wir damit nicht warten, bis wir das Verdeck wieder öffnen können?«
»Bei diesem Wetter?!«
O, das Wetter wird sich ändern, sobald die Alpen überschritten sind. Die Alpen sind die große Wetterscheide Europas. Das weiß jedes Kind, und der Reiseleiter verbürgt sich dafür. Jenseits der Alpen liegt Italien, das Land der Sonne und Sehnsucht.
Der Autobus fährt nicht über den hohen Pass, er schont seine Kräfte und läßt sich auf dem kleinen Bahnhof auf einen Waggon verladen und festkeilen; die Reisegesellschaft steht im Kreise herum und bewundert den Vorgang, dann klettert sie in die blitzblanken Dritter-Klasse-Abteile, fährt hinein in den schwarzen Berg und erwartet mit klopfendem Herzen am anderen Ende das große Wunder des Südens.
Der Reiseleiter behielt recht. In der Tat war das Wetter südlich der Alpen anders, es war nicht mehr charakterlos unfreundlich und trübe: Es goss in Strömen. Statt der italienischen Sonne ein gründlich deutscher Regen, der auf das Rollverdeck trommelt und in dicken Schichten an den Fenstern herunterfließt, und in den Bergdörfern an Stelle der bunten Italienerinnen mit Reben im Haar ein paar vereinzelte Bäuerinnen, die den schwarzen Rock über den Kopf geschlagen haben und über die Gasse huschen. Und nichts von blühenden Zitronenhainen und nickenden Palmen, dafür schießt das Wasser fußhoch über das Kopfsteinpflaster der Straßen. Und kalt ist es obendrein.
Der Missvergnügte hat das Wort. Er wundere sich gar nicht. Auf allen Reisen, die er macht, wäre das so, er hätte immer nur schlechtes Wetter, und das würde auch diesmal nicht anders, das weiß er genau.
»Wenn Sie solch ein Unglücksvogel sind, dann fahren Sie doch lieber allein, anstatt auch den anderen das Wetter zu verderben.«
»Wieso denn? Wenn ich auf meinen Reisen schon dieses Pech habe, dann brauchen es die andern nicht besser zu haben.«
Als Frau Delius am nächsten Morgen geweckt wird, sieht sie den Sinn nicht ein. Bei dem Hundewetter soll man sie wenigstens ausschlafen lassen. Aber da ist eine merkwürdige Unruhe in den Zimmern und auf den Gängen, eine fröhliche Lebendigkeit, die durch das Haus summt, und als Frau Delius blinzelnd die Augen aufmacht, sieht sie auf dem Fußboden schmale, leuchtende Streifen. Sie springt auf und schlägt noch schlaftrunken die Blenden der Balkontür auseinander: Breites Sonnenlicht und die stahlblaue Pracht des Sees mit den im Morgendunst schimmernden Alpen flutet ihr entgegen. Sie ist benommen, fast erschrocken von dem Glanz und reibt sich die Augen. Und sie macht eine merkwürdige Feststellung: sie hat es genau so erwartet, es ist tausendfach gemalt, fotografiert, auf Postkarten gedruckt, in den Dichtungen und Prospekten besungen und beschrieben – aber all das ist nicht in der Lage, die Wirklichkeit zu entwerten; wer sie zum ersten Male sieht, ist berauscht, überwältigt.
Italien weiß, was es seinen Gästen schuldig ist.
Auch Pitt ist aus seinem Körbchen gekrochen und trippelt
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