Heinrich Spoerl
zuvor, er faßt den Hund mit hartem Griff beim Wickel, hebt ihn hoch und hält ihn mit ausgestrecktem Arm von sich ab. »Jetzt aussteigen! Schnell aussteigen!«
Es sind nur sechzehn Leute, und der Autobus hat drei Türen. Aber da es schnell gehen soll, geht es gar nicht, jeder drängt und will der erste sein – den letzten beißen die Hunde –. Die paar Menschen genügen, um sich an den Türen zu einem wilden Knäuel zu verknoten, man drückt, schreit, stolpert, fällt. Aber schließlich ist der Autobus leer; Delius wirft den Hund ins Gepäcknetz und verläßt als letzter den Wagen.
Türen zu! Nun sind alle draußen, der Hund ist drinnen, man ist gerettet und kommt langsam wieder zu sich.
Zunächst muß man sich bei Delius bedanken. Man bildet einen Ring um ihn, Platte holt zu einer Ansprache aus, und die Studienrätin küßt den Helden mitten auf den Mund, sogar Frau Delius kommt in Versuchung, ihm anstandshalber die Hand zu geben; aber der praktische Mengwasser will wissen, wie es jetzt weitergeht, man kann nicht bis Weihnachten auf der Straße stehen, sich die Nase plattdrücken und den gefangenen Hund bewundern.
Man muß die Polizei verständigen, sie ist das Mädchen für alles und wird das Weitere veranlassen. Hier gibt es keine Polizei, hier ist eine einsame Paßstraße zwischen Felsen und Abgründen, hier gibt es kreischende Dohlen und wildzerzauste Latschen und ab und zu einen weißen Kilometerstein.
Infolgedessen sammeln sich die Männer und treten zu einem Rat zusammen. Man muß den Hund unschädlich machen, ehe ein Unglück geschieht. Wer besitzt eine Schußwaffe? Niemand, man reist in einem zivilisierten Land. Aber der Fahrer hat einen dreizölligen Schraubenschlüssel im Werkzeugkasten. Es ist zwar roh, aber vielleicht freut sich das Tier, wenn man es von seinen Leiden erlöst. Alles sieht den Fahrer erwartungsvoll an. Und die Paula soll endlich mit dem Heulen aufhören.
»Nein, nicht totschlagen!« fleht sie und jammert noch lauter. »Der Pitt ist gar nicht – der hat – das kommt doch nur von den Kognakbohnen!«
»Was, Kognakbohnen? Die haben Sie ihm zu fressen gegeben? Dann allerdings – Himmeldonnerwetter! – sagen Sie das doch gleich!« – Und nun wendet sich die Stimmung gegen Delius, aller Ruhm fällt von ihm ab. »Lieber Doktor, Sie haben es vielleicht gut gemeint, aber das müssen Sie doch zugeben, unter diesen Umständen war es kein Heldenstück.«
So denken alle und machen sich über ihn lustig.
***
An großen Plätzen und Kurorten von Weltruf genießen Gesellschaftsreisen wenig Ansehen; sie haben in Bausch und Bogen bezahlt und lassen wenig Geld hinter sich, sind laut und anspruchsvoll und nehmen den richtigen Reisenden die Betten und Tische weg. Für einen kleinen bayerischen Gebirgsort hingegen sind sechzehn Gäste, die auf einmal kommen, ein Ereignis von wirtschaftlicher Bedeutung. Dies besonders, wenn das kluge Reisebüro einen mehrtägigen Aufenthalt vorgesehen hat, damit die Teilnehmer sich von den Anstrengungen der Erholungsreise erholen und wieder einigermaßen wohl aussehen, wenn sie nach Hause kommen.
Der Verkehrsverein, das heißt in diesem Fall der Wirt zum Goldenen Stern, weiß, was er einem solchen Autobus schuldig ist, und hat ihm zu Ehren ein Sommerfest gerichtet. Es besteht aus einer kleinen knarrenden Tanzfläche, die im Garten unter den alten Bäumen aufgeschlagen ist, aus einem Dutzend Glühlampen, die an Drähten baumeln und mit lustigen Lampions umkleidet sind, und der »Musi« mit Zither, Basslaute und Tischgeige, vor allem aber aus einem weichen, warmen Sommerabend, wie es ihn manchmal auch in Oberbayern gibt und der nach Wald und Erde riecht.
Der im Fremdengewerbe erfahrene Sternwirt hat auch nicht versäumt, als zusätzliche Tänzer eine Handvoll einheimischer Burschen zu bestellen, die Freibier und Würstel bekommen und dafür die Aufgabe haben, sich den Damen aus der Stadt zu widmen und sich so treuherzig und krachledern wie möglich zu benehmen. Frau Mengwasser wird von ihnen besonders bedrängt und fliegt von einer Holzhackerbrust an die andere und ist sehr stolz darauf; denn sie weiß nicht, daß sie ihren Erfolg weniger ihrer appetitlichen Fülle und ihrem steifen, abstehenden Dirndl verdankt, als vielmehr ihrem Gatten, der den biederen Burschen für jede Runde mit seiner Frau heimlich eine kleine Prämie ausgesetzt hat und nun eine doppelte Freude genießt, einmal über das Vergnügen, das er ihr damit bereitet, aber mehr noch über
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