Heinrich Spoerl
sich kein Deutscher entziehen: Gladbach und Neuß flitzen in die Mitte der Wachstube, bauen sich nebeneinander auf und stehen stramm!
»Abzählen!«
»Eins – zwei«, zählen die beiden.
»Abzählen!«, brüllt der Inspektor.
»Eins – zwei.« – »Drei« sagt Neuß. – »Vier«, sagt Gladbach. – »Fünf«, sagt Neuß. – »Sechs«, sagt Gladbach. – »Einundvierzig voll!« sagt Neuß.
»Rrrrechts um!«
Sie machen rechts um.
»Im Gleichschritt marrrsch!«
Die Beamten marschieren.
»Links schwenkt, marsch! – Gerade – aus!«
Gladbach und Neuß exerzieren wie auf dem Kasernenhof.
»Rrreihe rrrechts!« Und dann läuft der Inspektor zu alter, großer Form auf: »Hinnnlegen!«
Sie werfen sich platt auf den Boden. Sie springen auf und werfen sich wieder hin. Die Stühle krachen in die Ecke, die Tische schieben sich übereinander. Die Schränke schwanken und ergießen ihre Akten über den Fußboden.
»Fliegerangriff!«
Sie nehmen Deckung hinter dem Ofen. Die Wachstube ist zum Schlachtfeld geworden.
Da greift Derendorf ein. Er klappt die Aufschläge seiner Uniformjacke hoch, hängt sich einen Feldstecher um, macht ein steifes Kreuz und stellt sich vor den Inspektor: »Nehmen Sie Haltung an, wenn ich mit Ihnen rede! Ich bin der Bataillonskommandeur.« – Der Inspektor knallt die Hacken zusammen und erstarrt.
»Rechts um!«, kommandiert Derendorf. Rechts um macht der Inspektor. »Im Gleichschritt marsch!«, kommandiert Derendorf. Der Inspektor marschiert. »Links schwenkt, marsch! – Achtung!« – Der Inspektor fällt in Paradeschritt. »Augen rechts!« Und läßt den Inspektor an sich vorbei zur Tür hinaus marschieren. Auf die Straße, in den Dienstwagen hinein. »Kolonne marsch!« Der Dienstwagen schießt gehorsam davon.
***
Derendorf rennt über Straßen, die er kennt und die anders sind als sonst, er fühlt hinter sich ein Rudel Inspektoren, die ihn verfolgen. Auf seinem Buckel drückt ein Rucksack, angefüllt mit Eierbechern. Und an jeder Flasche wird der Rucksack schwerer, und seine Beine sind festgebunden. Derendorf, was haben Sie im Rucksack? Man öffnet die Schnallen, und Lilo steigt heraus und lacht. Laut und schrill, daß es in den Ohren weh tut. Helle Morgensonne scheint auf Derendorfs Bett. Und das Telefon schrillt abermals. Er fährt hoch, und sein Kopf ist mit flüssigem Blei gefüllt:
»Hier Gendarmeriestation.« – In der nächsten Sekunde ist Derendorf hellwach, fährt in die Kleider, die Treppe hinunter und in die Wachstube: »Einbruch in der Molkerei!«
Neuß bohrt eine Hühnerfeder durch sein Pfeifchen: »Eja.«
»Woher wissen Sie –?«
Gladbach schlägt im Sitzen die Hacken: »Vom Friedhofswärter.«
Neuß steckt sein Pfeifchen wieder ineinander: »Ich von de Milchfrau.«
»Friedhofswärter? Milchfrau? Und die Polizei erfährt erst jetzt davon?«
Neuß hat sich erhoben und schnallt bedächtig um: »Dat is bei uns der schnellste Weg. Und bei so'n Molkerei kommt doch nie wat eraus.«
Derendorf bebt vor Ungeduld und drängt Neuß vor sich her auf die Straße.
***
– Im Lagerraum der Molkerei sind bereits drei Beamte der Kriminalaußenstelle. Umständlich und ohne Begeisterung tun sie ihre Pflicht: Machen sich schweigend Notizen, holen aus ihrem Köfferchen eine breithalsige Flasche, suchen dann nach dem Pinsel, finden ihn schließlich und wickeln ihn aus dem Tuch. Haben dabei die Flasche verstellt und suchen nach der Flasche. Finden die Flasche wieder und fahren mit dem Pinsel hinein und betupfen die Glasscherben und den Fensterrahmen mit einem feinen Pulver.
Dann legen sie einen photogrammetrischen Maßstab auf den Boden und schrauben mit ungeschickten Händen eine Kamera auf ein Stativ, machen erst eine Gesamtaufnahme, suchen nach der nächsten Kassette und nehmen dann die Fingerabdrücke auf.
Kriminalwissenschaft und Technik sind am Werk und übersehen mit Verachtung Derendorf und Neuß, die als simple Landgendarmen zusehen müssen, wie man ihnen die Arbeit vor der Nase wegnimmt, und vielleicht auch den Erfolg.
Mit Neid blickt Neuß auf die blitzenden Instrumente: »Chef, wenn wir dat all hätten!«
Aber Derendorf klopft ihm auf die Schulter: »Dafür haben wir den gesunden Menschenverstand.« Wendet sich plötzlich an den Molkereibesitzer: »Wie viele Fässer sind Ihnen gestohlen worden?«
»Drei.«
»Fässer?«, fragt Derendorf.
»Ja, Fässer.«
»Haben Sie einmal darüber nachgedacht, daß die Fässer gar nicht durch das Fenster
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