Heinrich Spoerl
strafbaren Mitteln greifen«, meint er schließlich.
»Dat is et ja jrade! Wenn es nit verboten war, brauchten wir dat nit so klammheimlich zu tun!«
»Und ich –«, der Landrat kommt hinter seinem Schreibtisch hervor: »ich braucht nit einzubrechen für die arme Bevölkerung.«
»Aber die arme Bevölkerung soll den zehnfachen Preis für die Butter bezahlen!«, bemerkt Derendorf sarkastisch.
»Enein, Herr Wachtmeister, nit die arme, sondern die reiche Bevölkerung. Wir verkaufen nur an die Reichen, die dat Geld dafür haben. Dat is der innenpolitische Lastenausgleich sozusagen!«
Derendorf setzt an zum Notieren: »Wer sind Ihre Abnehmer?«
Der Molkereibesitzer kratzt sich am Kopf: »Och, der Pförtner vom Regierungsgebäude. Und der Chauffeur vom Justizminister. Und der Hausmeister von enem Herrn, den mer nit nennen möchten. Und so weiter, und so weiter –«
»Sie sehen«, sagt der Landrat, »die tun et auch nur für die andern!«
»Dann werden wir auch gegen diese andern vorgehen!«
Der Landrat klopft Derendorf väterlich auf die Schulter: »Hören Sie auf en alten Mann: Lassen Sie die Finger davon! Es war schad um Sie!«
***
In der Wachstube klappern die Schreibmaschinen, als säßen nicht Polizeibeamte, sondern flotte Mädchen daran. Drei Monate ist Derendorf nun auf seinem Posten, und drei Monate ist er allem nachgegangen, was ihm zur Kenntnis gelangt ist. Er hat jeden vernommen, faule Einwendungen widerlegt. Und jedesmal, wenn der Beschuldigte in der Klemme saß, war sein letztes Argument: Warum geht man gerade gegen mich vor, der Soundso hat ja auch, und der Soundso –! Und Derendorf holte die Soundsos, und die sagten dasselbe. Und so ist aus jedem Fall ein zweiter geworden, ein vierter, ein achter, es ist eine regelrechte Kettenreaktion.
Und eines Tages kommt der Postbote und legt feierlich ein Schreiben auf den Tisch, vom Polizeipräsidium an den Wachtmeister Derendorf:
»Sie werden hiermit ersucht, sich am Freitag, dem 13. im Polizeipräsidium einzufinden zwecks persönlicher Rücksprache mit dem Herrn Polizeipräsidenten.«
Also doch!
Der 13. ist heute. Die Dreizehn ist eine Unglückszahl, aber Derendorf ist anders als die andern.
»Schnell mal den Fahrplan!«
– Der kurze Personenzug hält schnaubend und quietschend an der besonnten Station. Die vielen schmalen Türen öffnen sich, aus den Abteilen dringt fröhlicher Lärm. Derendorf, in seiner besten Uniform und blankgeputzten Stiefeln, klettert in den Zug. Die Leute werden plötzlich still und ernst. Selbst die Kinder drücken sich artig auf die Bänke. Um die Ecke sieht einer aus dem Nebenabteil. Dann wird dort geflüstert, und es wird ebenfalls still. Das sind die Menschen, denen Derendorf helfen wollte. Derendorf fühlt sich einsam. Dafür findet er nun Anerkennung bei seinen Vorgesetzten. Sie waren ihm bisher gleichgültig gewesen, aber jetzt tröstet es ihn, denn die Vorgesetzten sind sachverständiger als das Volk.
Ob man ihn versetzen wird? Er denkt an Lilo. Dann wird das Abteil dunkel. Man fährt in die Stadt ein und sieht fensterlose Mauern mit veralteter Reklame auf Emailleschildern und Hinterhöfen mit Müll und Wäsche. Das ist die Stadt, in der das Polizeipräsidium ist und die Versammlung der vereinigten Schwarzhändler und Schmuggler tagt, wie er bei einer morgendlichen Vernehmung zufällig erfahren hat.
In dem Tunnel unter den Bahnsteigen des Hauptbahnhofes stoßen ihn mit Koffern laufende Menschen, die es eilig zum nächsten Anschluß haben, und auch Leute, die es nicht eilig haben und dennoch laufen. Man ist in der Großstadt. – Vor dem Bahnhof fragt er einen Jungen nach dem Weg zum Polizeipräsidium.
»Da müssen Sie die Polizei fragen!« Und verschwindet im Gewühl, denn auch er hat es eilig.
Derendorf hat Zeit und geht zu Fuß. Er sieht Bettler und elegante Automobile. Und er sieht die Stadt mit dem Auge des Polizisten und sieht vieles, was verboten ist. Vor allem sieht er Menschen, viele Menschen. Kann man sie alle bessermachen? Er wird dem Polizeipräsidenten auch diesbezüglich Vorschläge unterbreiten.
Mitten auf einer Kreuzung steht, stattlich und schön, ein weißgekleideter Verkehrspolizist. Derendorf wartet geduldig und flutet dann mit den Menschen über die freigegebene Straße und wendet sich, mitten auf der Kreuzung, an den Verkehrspolizisten: »Können Sie mir vielleicht sagen –« Der Verkehrspolizist beachtet ihn nicht, sondern gibt mit eleganter Körperwendung den Verkehr zur anderen
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