Heinrich Spoerl
Untersuchungsgefangenen hin? Jeden Tag neue Festnahmen! Die Gefängnisse sind schon mehrfach überbelegt! Meine Herren, wir mußten schon dazu übergehen –«, er weint beinahe, »– die Gefangenen in Privatquartiere zu legen! Und kein Ende ist abzusehen!«
»Das finde ich noch nicht so schlimm. –« Ein auffällig elegant gekleideter Herr mit Querbinder hat sich erhoben: »Aber wir im Wirtschaftsministerium haben noch ganz andere Sorgen, die über den Verwaltungsapparat hinausgehen und das öffentliche Wohl betreffen. Fast zehn Prozent aller Fabrikanten und Unternehmer sitzt in Untersuchungshaft. Schön, sie haben es verdient. Aber die anderen, die noch nicht sitzen – und es vielleicht auch verdient hätten –, die trauen sich zu keinem Unternehmen mehr! Alle wollen nur mehr legale Geschäfte machen! Und viele haben schon solche Angst vor dem Gesetz, daß sie es unterlassen, die Steuer zu hinterziehen.« Er schlägt mit der Hand auf den Tisch: »Stellen Sie sich vor: Sie zahlen gesetzliche Steuern!! – Wenn das so weitergeht, droht uns das Chaos, meine Herren, der Zusammenbruch der Wirtschaft!«
***
– Draußen im Vorzimmer steht noch immer Derendorf und zupft sich vor einem kleinen Spiegel ein Fädchen von der Brust. Er wendet sich an den Vorzimmerbeamten, der auf seinem Stühlchen im Halbschlaf sitzt: »Können Sie mir nicht andeuten, was die Herren mit mir vorhaben?«
Der Beamte schreckt zusammen und sieht ihn schläfrig an.
Immerhin tut es ihm gut, daß man sich endlich an höherer Stelle mit ihm beschäftigt. Vielleicht will man ihm irgendeine Auszeichnung verleihen, aber die würde er energisch ablehnen, jawohl, denn er arbeitet nicht aus Ehrgeiz, sondern um der Sache willen. Und nun scheint die Welle ins Rollen zu kommen, die Welle der Säuberung im privaten, öffentlichen und im wirtschaftlichen Leben!
– Im Sitzungssaal herrscht noch entsetztes Schweigen.
»Ja, meine Herren – öh – dann sind wir uns darüber einig, den Dings – Derendorf müssen wir – zu unserem größten Bedauern – aus dem – öh – Amt entfernen.«
Der Polizeipräsident: »Bedauere, das geht nicht. Derendorf steht im Beamtenverhältnis.« Setzt sich.
»Ach so – öh – dann müssen wir gegen ihn eben ein – öh – Verfahren – Disziplinarverfahren einleiten.«
Der Polizeipräsident: »Bedauere, das geht auch nicht, Wachtmeister Derendorf hat sich nichts zuschulden kommen lassen.« Setzt sich.
Der Referent des Herrn Innenministers ist bestürzt: »Ist der Mann denn nirgendwo – öh – zu fassen? Unglaublich –, was denkt der sich eigentlich? Der ist ja geradezu – öh – gefährlich.«
»Das ist es ja eben!« brüllt der Dicke mit den Nackenfalten.
Da strafft sich die alte Figur des Referenten des Herrn Innenministers erbost zu alter Länge: »Dann, meine Herren –, dann bleibt uns nichts anderes, als – öh – öh – durchgreifende Maßnahmen gegen ihn zu ergreifen.«
Allgemeiner Beifall.
»Ich – öh – danke den Herren!« Der Referent des Herrn Innenministers greift zufrieden nach seiner Aktentasche und rückt seinen Stuhl ab.
Der neben ihm sitzende Protokollführer hat noch eine Frage: »Und welche Maßnahmen, Herr Ministerialdirektor, sind, bitte, beschlossen worden?«
Der Referent des Herrn Innenministers sinkt unangenehm berührt wieder in seinen Sessel: »Das ist doch ganz – ja, meine Herren – öh: ich stelle anheim.«
Das alte Männchen mit dem Gesicht eines Neugeborenen hat sich erhoben: »Meine Herren, als Referent des Gefängniswesens erlaube ich mir den Vorschlag, dem Derendorf einmal gütlich zuzureden.«
Der Konferenztisch schweigt.
Der Wirtschaftsreferent erhebt sich elegant: »Meine Herren, ich schlage vor, Derendorfs Treiben ebenso zu begegnen, wie wir in den Wirtschaftsbehörden dem Übermaß an Arbeit begegnen, nämlich nicht zu bearbeiten, sondern einfach liegenlassen.«
Einige räuspern Zweifel.
Der Oberstaatsanwalt erhebt sich: »Meine Herren, auch die Justiz hat Erfahrung. Das beste Mittel, um einen übereifrigen Beamten zur Ruhe zu bringen und das Arbeiten abzugewöhnen, ist, ihn zu befördern, und zwar ins Präsidium.«
Die Anwesenden räuspern Beifall.
»Herr – öh – Oberstaatsanwalt – Ihr Dings – Vorschlag ist eine – öh – sachkundige – ausgezeichnete Idee. Ich danke Ihnen!« und greift nach seiner Aktentasche.
Der harmlose Protokollführer meldet sich wieder: »Verzeihung, wohin, bitte, soll
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