Heinrich Spoerl
Herrchen und Frauen noch nie beisammen gesehen hat, kriegt es mit der Angst und winselt. Und die Maria kommt herein und fängt vor Freude an zu heulen.
Außerdem hat sie zwei Briefe.
Königliches Amtsgericht? Kempenich hat ein gutes Gewissen und öffnet herzhaft. »Aha, da ist also endlich die Benachrichtigung von der Einstellung des –«
»Christian, was ist los? Du zitterst ja.«
»– das heißt – da ist noch eine kleine Formalität. Am 30. Juni ist Termin.«
»Wieso Termin?«
»Vor dem Schöffengericht.«
»Was ist das?«
»Gericht! Du weißt doch, was ein Gericht ist! Eine Theke mit schwarzen Männern dahinter. Na, die Brüder kommen mir gerade recht. Die können sich freuen! Denen werde ich einen Tanz aufspielen, ich sage dir –« Er versucht, seine bleiche Angst zu überbrüllen, aber es klingt falsch, und Frau Hedwig drückt ihn in einen Sessel und redet ihm zu. »Du wirst das schon machen. Nimm dir einen tüchtigen Anwalt, es sieht auch besser aus. Aber nicht wahr, du wirst mir nicht böse sein, wenn ich an dem Tage zu meiner Schwester fahre. Ich würde das hier nicht aushalten, die Aufregung und das Gerede.«
»Du – das wird aber nicht gehen.«
»Warum wird das nicht gehen?«
»Weil – weil – weil du nämlich – die am Gericht sind ja so komisch – weil du nämlich mitangeklagt bist.«
***
Justizrat Genius war ein alter Herr mit blankem Gesicht und blanken Äuglein. Er war nicht vorzeitig an Überarbeitung gestorben, wie das sonst in diesem Stande üblich ist. Die Moselaner sind friedliche Menschen und führen keine Prozesse. Zum Justizrat ging man nur, wenn man auf Alimente verklagt war oder seinen Nebenbuhler über das ortsübliche Maß verprügelt hatte; jedenfalls hing es dann irgendwie mit Wein und Liebe zusammen, und der alte Herr brachte es mit wenig Justiz und viel Erfahrung wieder in die Reihe.
Manchmal genügte auch schon der Bürovorsteher. Er war nicht so alt wie der Justizrat, tat aber so und war ihm im Laufe der Jahre immer ähnlicher geworden; er trug dessen abgelegte Anzüge und hatte sich auch den jovial-pathetischen Tonfall seines Brotherrn zugelegt. Er unterschied sich von ihm nur dadurch, daß er eine halbe Stunde später zum Frühschoppen ging.
Kempenich war noch nie beim Anwalt gewesen und hatte Angst, dort in ein Gedränge von Verbrechern oder Bekannten zu geraten. Statt dessen war er der einzige Gast im Wartezimmer und hatte Muße, die Gartenlauben der letzten fünfzehn Jahre durchzublättern. Oder die frommen Wandsprüche zu studieren, mit denen das Wartezimmer geschmückt war. Da stand: Frisch geklagt ist halb gewonnen. Der Justizrat hatte es eigenhändig zur Erheiterung seiner Klienten gedichtet. Aber Kempenich las es mit tierischem Ernst, ebenso wie den goldgedruckten Spruch über der Polstertür: Guter Rat ist teuer. Hoffentlich stimmt davon nicht nur die zweite Hälfte, dachte er mißtrauisch.
Kempenich mußte ziemlich lange warten. Justizrat Genius hielt auf Taille und ließ um so länger warten, je weniger er zu tun hatte. Ein gewartet habender Klient kommt mit ganz anderer Ehrfurcht zum Anwalt als wie einer, auf den der Anwalt gewartet hat.
Die Konsulation begann damit, daß der Justizrat eine Prise nahm und die gleiche Wohltat seinem Klienten spendete. Kempenich hatte noch nie geschnupft und verschaffte sich mit Hilfe des ungewohnten Nasenpulvers einen anstrengenden und zeitraubenden Hustenanfall.
Sodann erfuhr Kempenich, daß er alles falsch gemacht hatte. Es ist wie beim Zahnarzt, er hätte eher kommen sollen, dann hätte man den Zahn noch plombieren können, jetzt muß er raus. Ins Juristische übersetzt: Nachdem einmal die Anklage erhoben und das Hauptverfahren eröffnet ist, kann die Sache nicht mehr still eingerenkt, sondern nur noch durch die öffentliche Gerichtsverhandlung erledigt werden.
Auch das beiderseitig vergessene Hotel gefällt dem Justizrat nicht. Er glaubt es natürlich treu und brav, was sein Klient ihm erzählt, dafür ist er Anwalt, und dafür wird er bezahlt. Aber das Gericht wird für dieses Spiel des Zufalls weniger Verständnis haben. Auch sonst liegt der Fall recht merkwürdig, man hätte besser daran getan –
»Herr Justizrat«, braust Kempenich auf, »ich will von Ihnen nicht wissen, was ich falsch gemacht habe und was ich besser getan hätte. Ich will wissen, wie man das wieder in Ordnung bringt.«
Der Justizrat blickt angestrengt in die Luft und kaut seinen Schnurrbart; aber er weiß es auch
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