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Heinrich Spoerl

Heinrich Spoerl

Titel: Heinrich Spoerl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: ADMIN JR.
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nicht.
    Diese Pause benutzt das kleine, naseweise Tippfräulein. »Darf ich mal was sagen?«
    »Wollen Sie wieder früher weg? Also dann gehen Sie schon!« Fräulein Erika will nicht früher weg. Fräulein Erika hat eine Idee. Eine kleine naseweise Idee: Wenn die Frau Kanzleivorsteher ihr Hotel in Koblenz vergessen hat, dann könnte man sich doch von den ganzen Hotels einfach die Portiers kommen lassen, so viele sind das doch gar nicht, und dann wird vielleicht der richtige die Frau Vorsteher wiedererkennen, und das Alibi ist fertig.
    Kempenich ist begeistert und verspricht dem kleinen Fräulein eine Tafel Nußschokolade. Der Justizrat aber ärgert sich, daß er nicht selbst auf diesen famosen Einfall gekommen ist. »An diese Möglichkeit habe ich natürlich schon von Anfang an gedacht, ich wollte gerade darauf zu sprechen kommen. Fräulein Erika, Sie müssen nicht so vorlaut sein! Schreiben Sie lieber mal eine Quittung über –«
    ***
    30. Juni. In das Portal des kleinen, aber achtbaren Amtsgerichts strömen erhebliche Menschen. Es ist eine drückende Hitze, die Luft ist weiß und flirrend. Die Leute schwitzen.
    Plötzlich weichen sie auseinander und bilden Spalier: Herr und Frau Kanzleivorsteher Kempenich. Die beiden gehen steif und in Abstand und sprechen nicht miteinander. Sie blicken starr geradeaus und sehen nichts von den Menschen rechts und links und bilden sich ein, nicht gesehen zu werden.
    An dem gleichen Morgen versammeln sich auf dem Bahnhof in Koblenz ein gutes Dutzend Hotelportiers in allen Preislagen. Sie begrüßen sich gegenseitig mit großem Hallo und zeigen sich ihre Ladungen. Das muß wohl eine ganz schwere Sache sein, mindestens Raubmord oder Sittlichkeit. Und erörtern das zu erwartende Zeugengeld.
    ***
    Der Zuschauerraum des Schöffengerichtssaales ist überfüllt. Wer keinen Sitzplatz findet, muß wieder hinaus, Stehplätze werden nicht geduldet, wegen des Luftverbrauches. Man sitzt auf Holzbänken. Sie sind ohne Lehne und erstaunlich schmal. Man will die Zuschauer nicht verweichlichen. Die Zuschauer sind vom Gerichtsverfassungsgesetz vorgesehen und heißen dort Öffentlichkeit. Aber darüber hinaus hat man an ihnen kein sonderliches Interesse.
    Das Interesse liegt in umgekehrter Richtung: Und wenn die Bänke schmal wie Messerrücken und mit Stacheldraht umwickelt wären – den Fall Kempenich muß man gesehen haben.
    Es hat noch nicht angefangen. Die Leute, die die Öffentlichkeit darstellen, schwatzen durcheinander, man versteht nur Brocken: Wenn das nur nicht vertagt wird, ich habe mir extra frei genommen – nein, die sind noch draußen auf dem Gang, haben Sie den Hut von der gesehen? – man weiß jetzt ja auch, wie die dran kommen – im Amt soll er auch was gemacht haben – und Sie sollen sehen, der kommt trotzdem frei – das wäre noch schöner, da müssen wir als steuerzahlende Bürger – einen Verteidiger haben die sich auch genommen – nun ja, dann weiß man ja genug –.
    Das Geschwätz verstummt, alle Köpfe drehen sich wie auf Achsen nach einer Richtung: Kempenich und Frau sind eingetreten. Er mit gekniffenem Munde, ein Sinnbild geballter Energie, sie mit beleidigter Duldermiene.
    Hinter ihnen Justizrat Genius, verbindlich lächelnd und mit wehendem Talar. Er sieht aus wie ein schwarzer Schutzengel mit gebreiteten Flügeln und gibt Kempenich die letzte Ermahnungen: »Kopf hoch, nicht unterkriegen lassen, und vor allem nicht vergessen, daß Sie unschuldig sind. – Wo bleiben denn unsere Zeugen?«
    »Was für Zeugen?« fragt Hedwig.
    »Hat Ihr Mann Ihnen nicht erzählt –?«
    »Ich rede nicht mit ihm.«
    »Ich bin da nämlich auf den Gedanken gekommen –«
    »Ru-hee!« brüllt der Gerichtsdiener.
    Das Gericht ist eingetreten.
    Das Gericht besteht aus dem Amtsrichter und zwei Schöffen. Der Amtsrichter in feierlicher Samtrobe, die Schöffen in Sonntagsanzügen. Der Amtsrichter mit berufsmäßiger Selbstverständlichkeit, die Schöffen verlegen und tatendurstig.
    Das Gericht setzt sich. Es sitzt höher als die andern, auf einem Podest, zu dem zwei feierliche Stufen emporführen. Sie symbolisieren die Staatshoheit. An dem einen Ende ein junger, feuriger Amtsanwalt, der sich wie ein Staatsanwalt im Quadrat vorkommt. Am anderen Ende der Protokollführer hinter Papier und Formularen.
    Platz nehmen!
    Kanzleivorsteher Kempenich und Ehefrau müssen auf das Anklagebänkchen. Es ist mit einem ausbruchsicheren Stabgitter umgeben und sieht aus wie ein Stück Zuchthaus. Es

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