Heinrich Spoerl
ist der vorgeschriebene Platz. Eine Ausnahme kann nicht gemacht werden. Davor steht der mit schwarzem Wachstuch überzogene Verteidigertisch, an dem sich Justizrat Genius ausbreitet.
Der Richter blättert in den Akten. Erwartungsvolle Stille.
Hinein knallt Kempenich: »Es kann losgehen!«
Der Richter traut seinen Ohren nicht. »Wie bitte?«
»Ich sage, daß es losgehen kann.«
Justizrat Genius entschuldigt: »Mein Klient ist etwas befangen.« Inzwischen hat der Richter mit der Verlesung des Eröffnungsbeschlusses begonnen. Solch ein Eröffnungsbeschluß ist lang und langweilig, ein abgeschriebenes Stück Strafgesetzbuch. Der Richter erledigt die Formalität in dem hierfür üblichen Schnellzugtempo. Nur zweimal verliert er den Atem und muß Luft holen:
»Gegen erstens den Kanzleivorsteher Friedrich Wilhelm Christian Kempenich zu Weinheim a.d. Mosel geboren am achtzehnten Juli achtzehnhundertzweiundachtzig zu Wittlich Bezirk Trier katholisch verheiratet nicht bestraft zweitens seine Ehefrau Josefine Katharina Hedwig geborene Enders zu –«
***
Die Moseltalbahn, Märklin Größe 00, hält in Zeil. Die Vereinigten Koblenzer Portiers haben beschlossen, ihr voraussichtliches Zeugengeld zu verflüssigen, kaufen sich in der Bahnhofswirtschaft pro Nase eine Flasche Zeller Schwarze Katz und setzen sie an den Kopf. Das Züglein wartet; es ist daran gewöhnt.
***
Der Vorsitzende ist mit dem Eröffnungsbeschluß und dem Atem zu Ende:
»– – – Vergehen gegen Paragraphen zweihundertzweiundvierzig und siebenundvierzig des Reichsstrafgesetzbuches das Hauptverfahren eröffnet folgt Unterschrift.«
»Angeklagter, Sie bestreiten?«
Kempenich erhebt sich in seiner knochigen Länge. »Bestreiten ist kein Ausdruck.« Mit knirschenden Zähnen: »Ich – lächle!« Frau Hedwig springt auf und sprudelt: »Wäsche stehlen haben wir auch gar nicht nötig, Gott sei Dank nicht, bei der Aussteuer, die ich mitbekommen habe, sechs Dutzend Bettücher, sechs Dutzend Bettbezüge, zwölf Dutzend Kissenbezüge, zwölf Dutzend Gerstenkornhandtücher, sechs Dutzend rotkarierte Küchentücher –«
Der Richter winkt ab: »Die Anklage nimmt allerdings an –«
Kempenich fährt dazwischen. »Das kann die Anklage halten, wie sie will. – Herr Vorsitzender, Sie sind vielleicht noch nicht lange genug hier, um zu wissen, wen Sie vor sich haben. Aber diese da wissen es.« Er wendet sich rückwärts an den Zuschauerraum: »Darum frage ich euch, meine lieben Freunde und Mitbürger, ist da jemand unter euch, der mich, den Kanzleivorsteher Christian Kempenich, für fähig hält –«
Eisiges Schweigen aus dem Zuschauerraum.
»Herr Vorsitzender, Sie hören die Antwort: Niemand!«
Ironisches Gelächter im Zuschauerraum.
»Herr Vorsitzender, Sie sehen: Nur ein spöttisches Lachen hat man dafür.«
***
Das Moseltalbähnchen hält prustend in Zeltingen. Die Portiers leiden sehr unter der Hitze. Zeltinger Himmelreich ist feucht und kühl. Der Zugführer treibt zur Eile, der Zug hat bereits fünfzehn Minuten Verspätung.
***
Die Gerichtsverhandlung geht ihren Gang. Der Vorsitzende läßt sich durch Kempenichs mutige Reden nicht beirren und bleibt wohlwollend. Aber eines will ihm nicht einleuchten: »Wenn Sie Ihr Hotel nicht wissen, dann kann es vielleicht doch das Hotel Monbijou gewesen sein?«
»Aus-geschlossen!«
»Woher wissen Sie das?«
Die Öffentlichkeit kichert.
»Und wie erklären Sie sich, daß im Fremdenbuch von Monbijou Ihr Name mit den genauen richtigen Personalien steht?«
»Es ist nicht meine Aufgabe, Herr Vorsitzender, die Rätsel des Kölner Nachtlebens zu lösen. Das überlasse ich denjenigen Stellen, die dafür bezahlt werden.«
So stolpert Kempenich zwischen Lächerlichkeiten und Frechheiten und läuft sich fest.
Dann kommt Frau Hedwig dran. Sie muß natürlich dabei bleiben, was sie vor dem Bürgermeister gesagt hat, und erzielt mit ihrem gleichfalls vergessenen Hotel einen unbestreitbaren Lacherfolg. »Ruhe dahinten! – Frau Kempenich, Sie brauchen sich deswegen keine Sorgen zu machen. Sie haben sich in Ihrem Hotel doch eingetragen, und daraus können wir feststellen –«
»Eingetragen? – Davon verstehe ich nichts, ich bin eine arme unwissende Frau.«
Der Amtsanwalt greift ein: »Haben Sie für diese Fahrt nach Koblenz keinen Zeugen?«
»Zeugen? Wie soll ich das verstehen?«
»Ich meine, war denn niemand dabei?«
Frau Hedwig empfindet mit Hilfe ihres nicht ganz einwandfreien Gewissens die Frage
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