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Heinrich Spoerl

Heinrich Spoerl

Titel: Heinrich Spoerl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: ADMIN JR.
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daß Tante Selma dem Meister ein Gläschen Ingwer spendete. Es war bestimmt ein alter Likör, die Flasche war seit sechs Jahren angebrochen und wurde nur zu hochfestlichen Gelegenheiten benutzt. Die kläglichen zweiundzwanzig Prozent Alkohol waren längst verduftet und hatten eine braune zuckrig-schale Flüssigkeit übriggelassen, die nicht dazu angetan war, den weiteren Verbrauch zu beschleunigen. Der Likör hatte begründete Aussicht, die zählebige Tante Selma zu überleben.
    Mit diesem Likör versuchte sie den Maestro zu bestechen. Nun mag man über Faletti denken wie man will, für Indiskretionen war er nicht zu haben. Er erzählte dem neugierigen Fräulein alles mögliche und unmögliche und sprach über Musik im allgemeinen und Atemstütze im besonderen. Von seinem Freunde Kempenich sprach er kein Wort. Als daran auch ein zweiter Likör nichts änderte, wurde Tante Selma böse und fragte mitten in seinen Satz hinein, was er denn eigentlich und überhaupt von ihr wolle. Der Meister erklärte ihr die abgetretenen Gesangstunden und war bereit, sofort mit Ton- und Atemübungen zu beginnen.
    Aber mit den Tonübungen kam ihm Tante Selma zuvor, und so etwas von Atem hatte er noch nicht erlebt: das wäre eine Gemeinheit, eine bodenlose Unverschämtheit, sie sei ein rechtschaffenes Fräulein und lasse sich von ihm nicht zum Narren halten, und wenn er nicht mache, daß er fortkomme, dann werde sie die Polizei holen, und was er sich überhaupt einbilde, er Mausefallenhändler, Gipsfigurenbengel, er schmieriger Ausländer.
    Sie sagte es noch deutlicher. Und auch noch etwas lauter.
    ***
    Es könnte wunderlich scheinen, daß Kempenich sich in keiner Weise um das Strafverfahren kümmerte. Aber er hatte vor allen staatlichen Einrichtungen und Behörden eine unerschütterliche Hochachtung und ein grenzenloses Vertrauen, und gerade von der Justiz war ihm bekannt, daß sie ihren besonderen Ehrgeiz darin setzt, keinem Unschuldigen ein Haar zu krümmen. Und unschuldig war er, das wußte er genau. Aber es war nicht seine Aufgabe, den geheimnisvollen Diebstahl aufzuklären. Mochte die Polizei sehen, wie sie damit fertig wurde. Er wußte genau, eines Tages würde die Nachricht kommen, daß das Verfahren eingestellt sei, dann war er rehabilitiert, dann würden sich alle bei ihm entschuldigen, der Kommissar, der Bürgermeister und die andern, und er würde mit Ehren wieder in seine Dienststube einziehen. Auf diesen Tag des Triumphes freute er sich unbändig und wartete auf die Nachricht. Es dauerte lange; aber er wußte aus Erfahrung, Behörden sind eine Art Mühlen Gottes, sie mahlen langsam, aber sicher.
    Allerdings Hedwig gegenüber war er im Unrecht. Mit der Studienfahrt hatte er sich selbst etwas vorgemacht. Dafür tat er Buße. Er stellte mit Befriedigung fest, daß er mager wurde und schlecht aussah, er kasteite sich, indem er immer den gleichen Anzug trug mit ausgebeulten Knien, lief tagelang ohne Kragen, sein Scheitel hing ihm in wilden Strähnen, und durch die Bartstoppeln rauschte der Wind. Eine Regenperiode hatte eingesetzt, und die diesige, naßkalte Luft drang bis in sein Zimmer.
    Eines Tages hielt es ihn nicht länger. Die Wände erdrückten ihn. Er zog sich ein Paar alte Stiefel an, warf seinen braunen Lodenmantel um die Schultern, stülpte einen Jägerhut auf und rannte davon. Ziel- und planlos, hinaus in die Luft, in den Wind, in den Regen.
    Langsam stieg er zwischen den Weinbergen empor. Schiefergeröll rasselte unter seinen Füßen. Er machte lange, tiefe Schritte und freute sich an der federnden Kraft seiner Beine. Der Regen sprühte um ihn, aber er empfand die Nässe an Gesicht und Händen als wohltuende Kühle. Unten im Regendunst lag grau und verschleiert das blaßgrüne Band der Mosel. Wolkenfetzen trieben durch das Tal und zerrissen an dem spitzen Kirchturm. Das matte Grün der Weinberge leuchtete unwirklich durch die graue Luft.
    Er stieg rascher. Er wollte sich müde laufen. Aber je höher er kam, desto leichter trugen ihn die Beine, und ein wohliges Kraftgefühl durchrieselte ihn. Oben, auf der ungeschützten Höhe, pfiff ein steifer Wind, zerrte an seinem Mantel und wollte ihm den Hut entführen. Der Regen hatte nachgelassen. Windstöße lockerten die Wolkendecke, und sekundenweise wurde ein Stückchen Blau sichtbar. Er hatte gar nicht gewußt, wie schön schlechtes Wetter sein kann.
    Von der Bank, auf die er sich setzte, konnte man zu beiden Seiten in die Moselschleife hineinsehen. Sie hat im Moselführer

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