Heinrich Spoerl
Ungeschicklichkeit des Unterzeichneten verloren. Tr.
Dann setzte er sich an den Abendtisch. Man hatte schon auf ihn gewartet. Er ist weiß wie ein Aktenbogen und rührt keinen Bissen an.
Niemand wagt zu sprechen. Man reicht den Aufschnitt, die Salatschüssel. Bitte. Danke. Man hört das leise Rauschen der Servietten, das schüchterne Klirren der Bestecke.
Man muß etwas sagen.
»Überarbeitet?«
Keine Antwort.
»Böse?«
Keine Antwort.
Quälendes Schweigen liegt über dem Tisch.
Treskow, plötzlich ganz laut und unvermittelt: »Ist unser Maulkorb gefunden?«
Nein.
Treskow legt die Serviette neben den Teller und steht auf, nimmt Elisabeth mit in sein Arbeitszimmer. Dort zeigt er ihr den mitgebrachten Maulkorb. »Kennst du den?«
»Da ist er ja! Wo war er denn?«
»Weißt du genau, daß es unser Maulkorb ist?« fragt Treskow. Elisabeth hört den fremden Klang seiner Stimme, sieht die Angst auf seinem Gesicht, entdeckt an dem Maulkorb das Schildchen mit dem Aktenzeichen – und weiß, was sie zu tun hat.
»Einen Augenblick mal.« Sie beugt sich über den Maulkorb, tut, als wenn sie genau untersucht, und sagt: »Nein, Herbert, das ist er ja gar nicht. Wie kommst du an das Ding?«
Treskows Gesicht lichtet sich. Aber er will sicher gehen und ruft Trude herein.
»Ist das unser Maulkorb?«
Trude ist ein helles Köpfchen und nicht nur zum Hühnerfüttern zu brauchen. Sie fühlt, daß hier etwas nicht stimmt, sieht die Mutter an, versteht ihr geheimes Augenspiel und sagt ganz beiläufig und unschuldig, wie sie es von der Schule her kennt: »Das soll unser Maulkorb sein, das olle Ding? Das glaubt ihr doch selber nicht. An unserm war auch vorn das Riemchen ab. Nicht wahr, Mutti?«
»Das kann er auch gar nicht sein«, schreit Treskow, bekommt augenblicklich wieder Farbe und geht in ein helles befreites Lachen über; »das kann er auch gar nicht sein! Ich wollte nur mal sehen, ob ihr darauf hereinfallt. Das hier ist doch der Maulkorb vom Denkmal!«
Er stelzt auf und ab und bleibt wieder stehen. »Morgen geht der Tanz wieder weiter. Ein Zeuge ist bestellt, angeblich Augenzeuge. Ich werde ihn mir selber vorknöpfen. Bin mal gespannt, was dabei herauskommt. Auf jeden Fall, ich lasse nicht locker.« Und mit plötzlich ausbrechender Wut: »Und das schwöre ich euch, wenn ich den Schweinehund erst beim Wickel habe – und daß ich ihn kriege, darauf könnt ihr Gift nehmen –, unter einem Jahr kommt der mir nicht davon!«
***
Als am nächsten Morgen der Briefträger zu Rabanus kam, fand er wie gewöhnlich das Gartenhaus unverschlossen und seinen Bewohner schlafend und legte die Post auf den Stuhl neben dem Diwan.
Rabanus wurde erst durch das robuste Hantieren der Putzfrau wach. Er empfand es als eine unerhörte Belästigung, daß er auf zehn Uhr zu einer polizeilichen Vernehmung geladen war. Am liebsten hätte er die Ladung in jene geräumige Truhe geschmettert, in der er all das versenkte, was ihm zu dumm war. Und das war sehr viel; die Truhe war fast voll davon. Aber dann entsann er sich, daß solche amtlichen Dinger, wenn man ihnen nicht den Gefallen tut, immer lästiger werden, so daß man schließlich als der Klügere nachgibt. Dann lieber gleich. Er stand auf – an der Putzfrau pflegte er sich dabei nicht zu stören – steckte draußen auf dem Hof gehörig Kopf und Oberkörper unter den Wasserkranen – gegen Vollbrausen war die Nachbarschaft erfolgreich eingeschritten – zog sich an und machte sich auf den Weg.
Als er an der Kranzschleifendruckerei Prümper vorbeiging, kam ihm der Verdacht, daß vielleicht die Ria ihm die Zeugenladung eingebrockt haben mochte. Das wollte er doch mal hören!
Er traf die Familie beim Frühstück. Es fand wie alle Mahlzeiten und sonstigen Begebenheiten in der Küche statt. Sie war gleichzeitig Wohnzimmer und Büro. Aber nicht aus Armut oder Sparsamkeit. Das kam bei Prümpers nicht in Frage. Es war eine wohlberechnete Konzentrierung und hing mit der Struktur des Unternehmens zusammen. Ria, hier ganz Mariechen und ohne Mohn im Haar, besorgte die Küche und das Geschäftliche, und es war für sie eine große Erleichterung, daß sie mit der einen Hand das Sauerkraut rühren und mit der andern den Telephonhörer nehmen konnte und daß ihr auch bei geschäftlichen Konferenzen die Milch nicht anbrannte. Was der Willi war, der bediente im Anbau die Handpresse. Der Vater aber ging mit gemütvollen Plüschpantoffeln durch sein Anwesen, freute sich seiner fleißigen Kinder,
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