Heinrich Spoerl
geworden ist, sind sie ein Herz und eine Seele und alle der gleichen Meinung: Natürlich wieder Schiebung. Die Belohnung ist nicht für unsereins, die wird irgendein Beamter kriegen. – Was, Beamte sind ausgeschlossen? Haben Sie eine Ahnung! Die kriegt dann irgendein Hintermann, das kennt man ja. Und nun ist eine ganz Feine drin, natürlich, für so was hat der Herr Kommissar Zeit, die wird nicht abgeschoben wie wir.
Das Volk irrt.
Mühsam ist völlig abgekämpft und infolgedessen auch zu der gutsituierten Dame in dem knappen Samtkostüm und den senfgelben Glacéhandschuhen ausgesprochen unliebenswürdig: »Was wissen Sie von der Geschichte, was haben Sie gesehen, was haben Sie gehört, bitte kurz!«
»Wieso kurz, Herr Kommissar? Wie soll ich das verstehen? Wenn Sie das nicht interessiert, ich bin gewöhnt, daß man Zeit für mich hat, aber wenn Sie meinen, Sie könnten mich hier anfahren für die lumpigen dreihundert Mark, bitte sehr – wo ich doch alles mit angesehen habe, bitte sehr – .«
Sie schnippt mit dem Kopf und will aufstehen.
Kriminalkommissar Mühsam ist schneller als sie und plötzlich unglaublich aufgedreht. Er drückt sie fast zärtlich in den Stuhl, nimmt ihr den Schirm ab und bemüht sich um sie und hätte ihr beinahe eine Zigarre angeboten. »Aber bitte, gnädige Frau, nehmen Sie sich Zeit, ich stehe ganz zu Ihrer Verfügung, wir können uns in aller Gemütlichkeit darüber unterhalten.«
Die gutsituierte Dame verzieht den Mund, streichelt ihre Handschuhe und läßt den Beamten eine Weile zappeln. Dann fängt sie allmählich an, langsam und gleichgültig. Mühsam hängt an ihren Lippen.
In der Nacht von Sonnabend auf Sonntag, vielleicht gegen zwei, es kann aber auch drei gewesen sein, habe sie zufällig aus dem Fenster gesehen. Gott, wie man so Nachts aus dem Fenster sieht, um etwas Luft zu schnappen, nicht wahr? Da kam von Tigges am Treppchen ein Mann oder ein Herr, Nachts kann man das nicht so unterscheiden, und dann ging bei Tigges am Treppchen das Licht aus. Und der Mann ging zum Denkmal und stieg über das Staket – nein, erkennen konnte sie ihn nicht aus der Entfernung, sie hat auch nicht weiter drauf geachtet, sie konnte ja nicht wissen, aber es war der letzte Gast von Tigges, und außerdem wurde ihr kalt in dem dünnen Seidenhemdchen und so, und da hat sie das Fenster wieder zugemacht.
Mühsam geht auf wie eine Sonne und hat alles mitgeschrieben und notiert, Namen und Adresse der Zeugin. Auf einmal entdeckt er in der Sache einen Schönheitsfehler. »Sie wohnen Lindenstraße 177? Ja, sagen Sie mal, liebe Dame, das ist ja eine ganz andere Gegend. Von der Lindenstraße können Sie das Denkmal doch nicht sehen. Was reden Sie denn da?«
Die gutsituierte Dame ist ein bisschen pikiert. »Bitte sehr, Herr Kommissar, Sie wissen ja gar nicht, ob ich zu Hause war. Habe ich das gesagt? Kein Wort habe ich davon gesagt. Vielleicht habe ich zufällig irgendwo anders geschlafen, nicht wahr, vielleicht bei einer Verwandten oder vielleicht bei einer Freundin. Und die dreihundert Mark können Sie mir bitte auf mein Konto bei der Deutschen Bank überweisen.«
Die Polizei kennt kein Vielleicht. Außerdem ist sie von Berufs wegen neugierig. Sie will das genau wissen, wer ist die Freundin, wie heißt sie, wo wohnt sie? Hat sie auch etwas gesehen? Die Gutsituierte wird merkwürdig nervös, rückt auf dem Stuhl hin und her und zupft an ihren Handschuhen. Was sie gesehen habe, das habe sie gesehen, und von wo, das ginge keinen was an, und überhaupt sei das keine Art, einen hier auszufragen, die Sache sei ihr überhaupt zu dumm, und dann nähme sie einfach ihre Aussage zurück.
Rauscht hinaus.
***
Frau von Treskow hat im zweiten Stock ein Stübchen, in das sie sich zurückzieht, wenn sie ein Buch liest oder allein sein will. Heute hat sie einen besonderen Anlass. Sie hat einen Maulkorb vor sich liegen, aus braunglänzendem, knirschendem Leder, mit blitzblanken Nieten. Und überlegt lange, wie sie es machen soll. Dann ruft sie Trude zu sich herauf.
»Kind, damit du Bescheid weißt, unser Maulkorb hat sich wieder gefunden.«
»Ist ja gar nicht wahr. Ich dachte –«
»Was dachtest du? Du hast nichts zu denken, mein Kind!«
»Wo war er denn, Mutti? Ich meine, wenn Papa danach fragt. Am besten unter dem Bücherschrank. Was meinst du, Mutti?« Frau von Treskow weiß darauf nichts zu sagen. Es ist auch unnötig.
Dann geht Trude hinunter und kommt nach einer Minute zurück mit einer Flasche
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