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Heinrich Spoerl

Heinrich Spoerl

Titel: Heinrich Spoerl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: ADMIN JR.
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wäre indiskret und würde einen zeitraubenden Bericht über körperliche, seelische und finanzielle Zustände erfordern. Geistvolle Leute antworten mit einem listigen Augenzwinkern: Danke, zeitgemäß. Und bringen dadurch das Gespräch geschickt auf die seit Urbeginn der Menschheit beklagten schlechten Zeiten. Oder, was dasselbe ist, auf das Gebiet der Politik. Darüber brauchen wir uns nicht zu unterhalten. Die Politik steht im Generalanzeiger. Als Dame von Welt werden Sie, gnädige Frau, statt dessen auf das Wetter zu sprechen kommen. Bitte, wehren Sie nicht ab. Nur Spießer witzeln darüber. Es ist eine der hervorragendsten Funktionen des Wetters, für alle Stände und Lebenslagen einen unverbindlichen und ungefährlichen Gesprächsstoff zu liefern, der niemals ausgehen kann. Wetter gibt es jeden Tag neu. Nachdem ich solcherart durch meine meteorologischen Kenntnisse meine Allgemeinbildung beweisen habe, gestatte ich mir, mich etwas unvermittelt nach dem Befinden des Fräulein Tochter zu erkundigen. Sie werden wiederum antworten ›danke‹ und werden denken ›aha‹. Sie haben recht, ›aha‹ zu denken, doch das gehört nicht zum Thema. Wohl wird es allmählich Zeit, daß ich Ihnen etwas Angenehmeres sage. Erstens ist es üblich, zweitens meiner Lage durchaus vorteilhaft, und drittens ist es in diesem Falle sogar wahr. Allerdings hatte ich mir Sie etwas anders vorgestellt.«
    »Wieso anders?« Frau von Treskow ist eine Frau und vergisst darüber ihre Halsschmerzen.
    »Zunächst hatte ich gedacht, Sie seien dick.«
    »Oh!«
    »Übrigens sehe ich Ihren Händen an, daß Sie musikalisch sind. Sie spielen vorzüglich Klavier, und zwar mit Vorliebe Chopin.«
    »Können Sie das sehen?«
    »Nein, ich habe es von draußen gehört. Und damit wären wir bei meiner Person angelangt. Sie werden mich fragen, ob ich von hier bin. Ich weiß, daß diese Frage mehr bedeutet als eine geographische Feststellung. Sie wollen wissen, wer und was ich bin, dies um so mehr, als Sie sich nach mir noch nicht erkundigen konnten. Also kurz: Sechsundzwanzig Jahre, Reichsdeutscher, unbestraft, ehrlicher Sohn ordentlicher Eltern, seit vier Monaten studienhalber hier anwesend. Und von Beruf – das ist ein wenig kompliziert: Die Maler halten mich für einen guten Musiker, die Musiker für einen tüchtigen Literaten und die Literaten für einen ordentlichen Maler. Ich weiß nicht, wer recht hat, ich fürchte, alle drei. Mehr möchte ich nicht verraten; es ist besser, eine kleine Neugier wach zu halten und Gesprächsstoff aufzuheben für später.«
    Trude ist längst durch die Portiere hereingeschlüpft, hat sich artig auf ein Sesselchen gesetzt und verschlingt ihren Rabanus mit großen Augen. Frau von Treskow fühlt sich zunächst überrumpelt. Aber nun hat sie ein wohliges Gefühl der Wehrlosigkeit. Außerdem ist sie durch das Haus ihres Vaters, der ein berühmter Sammler und Mäzen ist, an allerlei Käuze gewöhnt. Rabanus fühlt, daß er Boden gewinnt, und tut einen herzhaften Sprung vorwärts:
    »Und wenn ich weiterhin für Sie reden darf, gnädige Frau: Sie werden mich vielleicht allmählich fragen, ob Sie mir ein Glas Wein anbieten dürfen. Der Form halber, denn Sie wissen, daß ich als wohlerzogener junger Mann danken muß; es ist mein erster Besuch, und da ist der Konsum von Lebensmitteln nicht üblich. Ich weiß das wohl. Ich weiß aber auch: Wenn ich ›ja‹ sage, habe ich Grund, noch einige Minuten zu bleiben. Also, bitte ja.«
    Er hätte das nicht gesagt, wenn Frau von Treskow nicht inzwischen schon geklingelt hätte. Billa bringt einen alten Sherry, der dem Hause Ehre macht. Trude bekommt auch ein Glas. Man kann anstoßen, auf das Wohl der Hausfrau, auf ihre baldige Genesung. Übrigens tut der Hals schon gar nicht mehr weh.
    Ein Schluck Wein ist mehr als ein wohlschmeckendes Getränk. Er ist ein Symbol der Gastlichkeit und schlägt luftige Brücken zwischen den Menschen. Und dennoch hätte Rabanus besser getan, seinen Besuch abzukürzen. Staatsanwalt von Treskow, durch das Bad erfrischt und gestärkt, ist auf einmal eingetreten, sieht auf dem Boden den Zylinder, auf dem Tisch die Gläser, erblickt Rabanus und sagt nicht »Bitte behalten Sie Platz« oder »Es freut mich«. Sondern: »Sie wünschen?«
    Es klingt tief und eisig, als hätte er gefragt: Sind Sie vorbestraft? Auf soviel Staatsanwalt war Rabanus nicht gefaßt. Er sucht in gutbürgerliche Formen umzubiegen: »Herr Staatsanwalt, ich hatte bereits vor einigen Tagen das

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