Heinz Strunk in Afrika
hoppele ich herum, erfüllt von einem nicht aufhebbaren Gefühl von Verzweiflung und Nichtigkeit. Zwischen Hamdi und mir tut sich rein gar nichts. Schwingungsunregelmäßigkeiten. Der Spin überträgt sich einfach nicht. Das
Subpersonale
.
So wird es kommen eines Tages: Ohne Vorwarnung ist alles vorbei, über Nacht wird man zum Gespenst, aus dem Buch des Lebens gestrichen. Gegen eins signalisiere ich C., dass ich gehen
muss
. Wir drücken den Girls jeweils 2000 Schilling in die Hand.
Bis morgen
. Sie begleiten uns zu den Taxen und winken. Wir winken zurück.
Regentschaft
C. empfängt mich mit versteinertem Gesicht.
«Viertel nach zehn. Ich finde es einigermaßen rücksichtslos, dass du gleich so maßlos übertreibst. Du hättest mir mit einem gemeinsam eingenommenen Frühstück eine große Freude bereitet.»
Er sei kurz nach fünf aufgewacht, sein Schlafdefizit betrage besorgniserregende fünfundzwanzig Stunden. Nun müsse er sich aufs Zimmer zurückziehen, um wenigstens einen kleinen Teil nachzuholen. Obwohl, wie ja allgemein bekannt sei, sich Schlaf nicht nachholen lasse.
Ob das stimmt? Wenn dem so wäre, würden sich ja bereits zur Lebensmitte Berge von nicht mehr gutzumachendem Schlafdefizit auftürmen.
«Wir müssen uns darauf einigen, wann die Regentschaft beginnt und wer Regent wird, Bursche.»
«Ach, das ja auch noch.»
«Wir werfen eine Münze. Du hast die Wahl.»
«Ähre.»
Zahl fällt.
«Ich darf dich noch einmal mit den Regeln vertraut machen: Meine Regentschaft beginnt um achtzehn Uhr und endet um zwei Uhr. Ich darf auch bestimmen, was du essen und trinken wirst. Revolution kostet zweihundert Euro. Servus.»
«Gute Nacht.»
Und nun, so ganz allein? Der Mehlgnom! Wenigstens eine Seite! Ab zum Plumpspool, da hab ich meine Ruhe. Von wegen. Schlimmes erwartet mich: Unsere kleine Heimstatt, unser quasi exklusiv genutztes Refugium, der Platz, an dem wir leben, lachen und arbeiten, ist von den Sauf-Engländern besetzt. Ich bin gezwungen, an den Big Pool auszuweichen. Am Plumpspool bin ich wer, hier nur einer unter vielen. Dabei aber kein bekanntes Gesicht, nicht ein einziges. Wo sind die eigentlich alle? Schlaganfallmann, Feeder, Rouladenbayer, von den Wolfs ganz zu schweigen. Keiner da, überall nur Rentner, ununterscheidbar. Ihr alleiniges Interesse gilt dem Funktionieren der Organe und ihrem labilen Gleichgewicht, den koronaren und vaskulären Schwächen.
So, jetzt ist aber auch gut mit Seniorenbashing.
Tipp, tipp, tipp. Unsympathisch, im Urlaub auf dem Laptop rumzuhacken. Tipp, tipp, tipp. Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals in meinem Leben lustloser gewesen zu sein. Tagesaufgabe: Bilden Sie die sogenannte
deutsche Reihe
. Kaffeerund – Sitzbad – Nachwassern – Dienstreise – Mehlgnom.
Wenn der Anfang erst einmal gemacht ist, schnurrt erfahrungsgemäß der Rest wie von selbst. Also. Kapitel eins: 1969. Ein dunkler, trüber Wintermorgen. Es ist noch sehr früh. Mein Kinderzimmer liegt im ersten Stock. Das ganze Haus ist erfüllt von beißendem Geruch. Klo und kalter Zigarrenrauch. Opa. Eine seiner berüchtigten langen Sitzungen. Er raucht auf dem Klo eine Zigarre, um den Gestank zu überdecken. Die Tür zu schließen hat er vergessen. Ich habe Hunger. Auf der Suche nach etwas Essbarem tappe ich die Treppe hinunter. Oma sitzt in der Küche. Sie hat, wie immer, wenn sie allein ist, das Gebiss rausgenommen und guckt teilnahmslos aus dem Fenster. Als sie mich sieht, erschrickt sie und greift hastig nach den falschen Zähnen, doch die flutschen ihr aus der Hand und landen auf dem Fußboden. Sie starrt mich an und sieht aus wie ein riesiger, alter Frosch. Ich habe Angst.
Ach Scheiße. Das ist es noch nicht. Ton, Sound, Intonation – grundfalsch! Ich werde ihn nie finden, den verfickten hohen Ton! Andererseits: Hochliteratur unter Palmen, das kann nicht funktionieren. Nicht bei dreißig Grad im Schatten. Ich klappe den Laptop zu und
Abbitte
auf: «… An den äußersten Rändern des Schreibtisches einige Photographien: auf dem Rasen vorm College die Theatergruppe von
Was ihr wollt,
er selbst als Malvoglio, gelb bestrumpft mit gekreuzten Kniegürteln […] Zuletzt in einem metallenen, von Grünspan überzogenen Jugendstilrahmen ein Photo von Grace und Ernest, seinen Eltern, drei Tage nach der Hochzeit. Hinter ihnen schob sich ein Kotflügel ins Bild – bestimmt nicht ihr eigener Wagen, und weiter weg ragte eine Darre über eine Ziegelmauer …» Ach je. Eine Darre. Ich lege
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