Heinz Strunk in Afrika
das Buch beiseite, diesmal wohl endgültig. Schön wäre jetzt, in einem Jugendbuch zu schmökern, das man seit der Kinderzeit nicht mehr in die Hand genommen hat.
Tom Sawyer. Robinson Crusoe. Die kleine Hexe. Japanische Märchen. Der Lektro.
Ravensburger Taschenbücher. Beglückende Lektüre, die einen in glücklichere Tage zurückkatapultiert.
Abwechslung naht: Eine Familie (Vadda, Mudda, Tochta) steuert die Liegen neben mir an. Attraktive Menschen, kann man übrigens schon am entsprechenden
Gangbild
ausmachen. Interessante Sachinformation: Bereits aus der Entfernung verrät es viel über die Schönheit eines Menschen. Das Geschlecht kann ab einem Alter von vier Jahren am Gang erkannt werden. Bereits ab ungefähr 25 Jahren wird der weibliche Gang unattraktiver, bei Männern sinkt die Anziehungskraft des Gangbilds ab rund 30 Jahren.
Das Familienoberhaupt, ein harter, kantiger Mann mit gebräunter Glatze und stahlblauen Augen, seinem Gangbild nach zu urteilen Entscheidungsträger. Die magere, sehnige Frau ist früher außergewöhnlich schön gewesen. Sieht man. Jetzt nicht mehr. Übertrainiert wie Madonna, das Gesicht maskenhaft starr und ausdruckslos, ihre Hände dickadrig vom Hanteltraining, die Haut schlaff. Kann sich liften lassen und fit sein, aber ihre
Aura
ist alt. Beim Hinsetzen bedenkt sie mich mit einem knappen, nichtssagenden Lächeln, ein Wunder, dass sie mich überhaupt bemerkt. Ich versuche mir vorzustellen, wie sie früher ausgesehen hat. Und warum sie jetzt
so
aussieht. Neid, Missgunst und unablässiger, trüber Gedankenfluss hat in winzigen, kaum merklichen Schritten ihre Physiognomie entstellt, ein beständiges Morphing, kaum merkliche tektonische Verschiebungen: ein Prozess, an dessen Ende ein anderer Mensch steht. Jetzt leidet sie an der unverbrauchten Jugend ihrer Tochter. Die ist nämlich nicht nur unglaublich schön, sondern strahlt auch die natürliche, instinktive Überlegenheit von jemandem aus, der in seinem ganzen Leben noch keine Minute Not kennengelernt hat. Und nichts zustande gebracht hat. Und aller Voraussicht nach auch nichts zustande bringen wird. Und warum? Weil sie es nicht
nötig
hat. Da kann unsereins nicht mithalten. Wahrscheinlich heißt sie Britney. Oder Ashley. Oder Miley. Ihr Freund aus der Upper Class konnte sie nur deshalb nicht begleiten, weil er gerade auf Hawaii einen Surfwettbewerb gewinnt.
«Hello, Sir, how are you?»
Der Entscheidungsträger! Sir! Er meint tatsächlich mich.
«Fine, thank you.»
Oje, mein Hobbit-Englisch brandmarkt mich gleich wieder als Honk, als
grumpy German
. Jetzt heißt es tapfer sein. Sie kämen aus Kanada, sagt er, und würden eine Woche bleiben. Er sei Geschäftsmann, irgendwas mit Holz, wie ich mit Mühe heraushöre. Seit ein paar Jahren verbrächten er und seine Familie Weihnachten im Nyali Beach. Ich nicke eifrig. Sein samtener, professionell klingender Bariton ist auf künstliche Freundlichkeit getrimmt. Woher ich komme, fragt er, und, mit Blick auf den Laptop, ob es hier Wireless LAN gebe. Keine Ahnung, entgegne ich, ich würde den Computer ausschließlich als Schreibmaschine nützen. Aha, fragt er, neugierig geworden, was ich denn schreibe. Ach je, was soll ich jetzt sagen? Ich sehe sicher nicht so aus, wie sich ein kanadischer Geschäftsmann einen deutschen Schriftsteller vorstellt. Oder Drehbuchautor. Oder auch nur
Buchautor
. Ian McEwan etwa würde man abnehmen, dass er Schriftsteller ist. Oder Durs Grünbein. Allein schon wegen des Namens. Durs Grünbein, Grünbein Durs, von hinten wie von vorn Schriftsteller durch und durch und durch. Durs Grünbein sieht aus wie einer, der wie Durs Grünbein schreibt. Überhaupt sehen eigentlich alle Schriftsteller aus wie die Sachen, die sie schreiben. Ingo Schulze. Judith Herrmann. Uwe Tellkamp. Julia Frank. Bastian Sick. Mario Barth, haha. Ich, zum Holzmogul: «Some sort of diary.» Aha. Er zwinkert mir gesprächsbeendend zu und scrollt in seinem Blackberry. Was ist eigentlich mit Lucy? Wollte sie mich nicht abhören? Vielleicht traut sie sich in Gegenwart anderer Menschen nicht, mich anzusprechen. Die große Liebe zum falschen Zeitpunkt.
15 Uhr. SMS an C.: «Wo bist du?»
«Netzrecherche.»
Vielleicht freut er sich, wenn ich ihm einen Besuch abstatte.
«Was treibt dich hierher, Bursche?»
«Ich wollte nur mal schauen. Heute ist der vierte Advent.»
«Um mir das zu sagen, bist du doch bestimmt nicht gekommen?!»
«Mir war langweilig.»
«Langeweile ist nur etwas für dumme
Weitere Kostenlose Bücher