Heinz Strunk in Afrika
professionell ihre Zeit ab und warten darauf, mit den obligatorischen zweitausend Schilling bedacht zu werden. C. kehrt mit zwei Gin Tonic von der Bar zurück.
«Hier, Bursche, das hast du dir verdient.»
Ich stürze den Drink in einem Zug hinunter.
«Darf ich noch einen?»
«Frühestens in einer halben Stunde. Es ist ja wirklich erschreckend mit dir.»
Ich
müsste im Zehnminutentakt nachwassern, um überhaupt etwas zu merken. So geht es nicht weiter.
«Revolution.»
Ich drücke ihm 20 000 Schilling in die Hand.
«Jetzt hole ich mir noch einen Drink, und danach hauen wir ab.»
«Ich kann mich nur über dich wundern, Bursche.»
«Keinen Widerspruch. Um Punkt eins ist Abmarsch. Und die Girls bekommen heute nicht zwei-, sondern dreitausend Schilling, Weihnachtsgeld.»
Wir verabreden uns für den ersten Feiertag, gleiche Uhrzeit, gleiche Stelle.
Im Hotel angekommen, zwinge ich C. dazu, mit mir gemeinsam auf dem Zimmer noch einen Absacker zu nehmen. Er protestiert: Wir sollten in die
Heia
gehen, um den Heiligabend
frisch, munter und ausgeruht
zu verbringen. Er schimpft und zetert, aber was soll’s, schließlich bin ich der Regent.
Jungle Bells
Heiligabend unter Palmen! Weihnachten in Afrika! Meine Lippen sind gedunsen und taub vom Schlaf. Ich sehne mich nach Deutschland, nach sanftem, rieselndem, glitzerndem Schnee, eisigem Wind, nach winzigen Eispartikeln, die in der Sonne schwirren. Kalte, glitzernde Fläche. Reinigender Duft, der aus dem klaren Quell des Winters geschöpft ist. Lichterketten, bunter Schmuck, Glühwein, Eisblumen, Weihnachtsplätzchen, frostiges Wintermoor, Adventskalender. Überall Schnee, kalt, weiß, alle Entfernungen zuschüttend. Ich stelle mir vor, einen Spaziergang zu unternehmen, mit Schal und Wollfäustlingen durch verschneite Gässchen zu stapfen, bis mich eine Eisnase zur Umkehr zwingt. Daheim schäle ich mich aus dem schweren Nerz und mache mich geschwind an die Zubereitung einer
Canard à l’orange
. Die Wohnung ist bald durchdrungen vom Duft der frischen, jungen Barberie-Ente, die ich regelmäßig mit Fett übergieße.
Träume sind Schäume. Die gleißende Sonne dringt mir bis in die Knochen, bewirkt eine Art farblicher Gleichschaltung, die Dinge werden schemenhaft und durchscheinend, der Horizont immer enger. Ich habe einen Lichthut am Kopf.
C. sitzt mit anklagender Miene vor einem Berg steifer, ranziger Tempotaschentücher. Sein Gesicht ist seltsam zerquetscht, die Nase rot geschwollen, Schweißrinnsale kriechen Richtung Augenbraue.
«Halb elf! Und das am Heiligen Abend!»
«Was ist los? Bist du schon wieder krank?»
«Danke der Nachfrage, es hätte mich nicht gewundert, wenn es dir nicht aufgefallen wäre. Ich bin total vergrippt, keine Ahnung wieso. Es ist einfach nicht mehr zum Aushalten.»
Er niest und schaut mich mit verpliertem Blick an.
«Gott, ach Gott. Ich hatte lediglich zwei beschwerdefreie Tage.»
«Wie meinst du das?»
«Genau zwei beschwerdefreie Tage, was gibt’s daran falsch zu verstehen? Den neuen Virus werde ich bis zur Heimreise nicht mehr los. Ich habe jetzt schon Angst vor dem Rückflug.»
«Wir sollten ins Medical Care gehen.»
«Schon wieder? Die lachen mich doch aus! Weihnachten ist bestimmt nur Notdienst, wenn überhaupt. Und wenn der erste Doktor Dienst schiebt, hilft’s sowieso nicht, und ich bin am Ende nur finanziell ruiniert.»
Er beäugt mich misstrauisch.
«Du hingegen machst ja einen ausgesprochen munteren Eindruck.»
«Ach was, alles wie immer.»
«Von wegen. Das ist mir schon vor einiger Zeit aufgefallen: Dir geht’s umso besser, je schlechter es
mir
geht.»
«So ein Unsinn.»
Das Einzige, was Kranke tröstet, ist, wenn es anderen noch schlechter geht. Aus Solidarität versuche ich mich seiner Verzweiflung anzupassen. Ob er trotz seines Zustandes irgendwelche Pläne für den Heiligen Abend habe, will ich wissen. Am liebsten würde er sich
mit einem guten Buch unter der Bettdecke verkriechen
, er werde mir aber aus Freundschaft und Pflichtgefühl Gesellschaft leisten. Ich biete an, ihm im Gift-Shop Taschentücher oder Tropfen oder Tabletten oder Spray oder Pillen zu besorgen, derweil könne er schon zum Meer gehen.
Als ich eine halbe Stunde später nachkomme, kauert er auf einer altersschwachen Liege und starrt auf den Indischen Ozean. Wie eine riesige Wurst hängt ihm eine Wolldecke über den Schultern. Er klagt über Ausbrüche kalten Schweißes, außerdem würde er trotz der Hitze frösteln, aber Kranke
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