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Heirate keinen Arzt

Heirate keinen Arzt

Titel: Heirate keinen Arzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Tibber
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den Füßen. Doch mit der Zeit gewöhnte ich mich an jede Art von Treppen. Auch lernte ich alle Spielarten von Glocken kennen: schrille, bimmelnde, solche, die einen musikalischen Ton von sich gaben, andere, die stumm blieben. Zuweilen begann ich meine Runde mit zwei oder drei verschiedenen Hausschlüsseln in der Tasche, die mir Leute, bevor sie zur Arbeit gingen, brachten, damit ich die Wohnungen betreten konnte,  deren Bewohner zu krank oder zu alt waren, um selbst zu öffnen.: Bisweilen erhielt ich Anweisungen darüber, wie ich mir sonst Einlaß verschaffen solle. Da hieß es: Der Schlüssel liegt unter der Türmatte; gehn Sie ums Haus herum an die Hintertür; stoßen Sie die Tür auf und gehn Sie einfach hinein; holen Sie sich den Schlüssel gegenüber, oder im Haus daneben. An all das gewöhnte ich mich rasch. Ich war angenehm überrascht über das Ausmaß freundlicher Nachbarlichkeit, das ich überall feststellen konnte. Die Hausfrauen hier im Quartier nahmen sich der Nachbarskinder an, hatten ein Auge auf die Kranken, nahmen Wäsche ab und fütterten Hunde, Katzen, Kaninchen und weiße Mäuse, wenn deren Eigentümer ab- wesend waren. Mir schien das ein höchst erfreulicher Zustand. Jedoch trauten mir die Frauen noch immer nicht so recht, sondern schickten ihre Männer und Kinder vor, um mich und meine ärztlichen Künste zu prüfen. Zuerst behandelte ich meine Patienten genauso, wie ich es vom Spital her gewohnt war. Ich schrieb ihnen ausführliche Behandlungen vor, von denen ich erwartete, daß sie genauestens durchgeführt würden. Es wurde mir jedoch bald klar, daß man sich als praktischer Arzt sowohl in der Behandlung wie bei den Anweisungen kurz fassen müsse und ferner die ganze Familie als Einheit zu betrachten hatte. Ich fand heraus, daß es völlig unnütz sei, einer Mutter eine dreiwöchige Bettruhe zu verordnen, damit sie ihrem überanstrengten Hüftgelenk Entspannung verschaffte. Denn das konnte sie weder, noch wollte sie es, solange sie einen Haushalt und Kinder zu versorgen hatte und kein Geld besaß, eine Haushalthilfe zu bezahlen. Ebenfalls konnte ich alte Frauen oder Männer nicht ins Bett schicken, wenn sie allein lebten und niemanden hatten, der sie pflegte. Es gehörte mit zu meiner Tätigkeit, widerstrebende Söhne oder Töchter aufzusuchen und ihnen zu eröffnen, daß ihr alter Vater, ihre hilflose Mutter eine Zeitlang bei ihnen untergebracht werden müsse. Die Angehörigen, die mit ihren eigenen Familien genug zu tun hatten und dazu arbeiten gingen, unterzogen sich dieser zusätzlichen Bürde, so gut sie konnten, und mußten nicht selten ihre Wohnstube oder einen anderen schlecht entbehrlichen Raum dafür hergeben. Es war verschwendete Zeit und Mühe, einem Hosenbügler mit einem Lendenbruch zu sagen, er solle sich leichtere Arbeit suchen, wenn alles, worauf er sich verstand, eben das Hosenbügeln war, und ebensowenig konnte ich von einer Mutter von vier Kindern unter fünf Jahren verlangen, daß sie nichts Schweres hebe. Es ging in der Allgemeinpraxis um Medizin und Psychologie, um Medizin und ein teilnehmendes Herz, niemals aber um Medizin allein.
    Einem Problem besonders war ich noch nie zuvor begegnet und wußte zuerst nicht, wie ich mich dazu verhalten sollte. Da gab es eine Patientin - wenn man sie so nennen wollte -, die hieß Mrs. Hume. Sie führte ein gelangweiltes Leben in einem nahe meinem Haus gelegenen Bungalow. Ich lernte sie kennen, als sie eines Tages in einer Wolke von Parfüm in mein Sprechzimmer geweht kam und mir mit größter Ausführlichkeit beschrieb, auf welche Weise sie sich mit einem Taschenmesser ein bißchen geschnitten hatte. Ich kritzelte auf meiner Löschpapierunterlage herum, während ich mir anhörte, wie »ich Schlimme« ein »winziges Bleistiftchen« gespitzt hatte , wobei das »böse Messer« ausglitt. Ich legte einen breiten Wundverband an — eine Behandlung, die mehr ihrer Eitelkeit als ihrer Verletzung galt ließ ihre dramatischen Dankesbezeigungen über mich ergehen und sah zu, wie sie umständlich und würdevoll das Zimmer verließ. Sie war blond und nicht ohne weibliche Reize. Eine Woche darauf fand ich ihren Namen auf meiner Besuchsliste. Dem, was Mrs. Little über sie zu sagen hatte, war zu entnehmen, daß ihr nichts anderes fehlte als ein neuer Ehemann und eine richtige Beschäftigung.
    Ihr Bungalow war klein, und seine Tür wurde mir von einer knochigen Hausangestellten geöffnet. Aus der Art, wie diese mir mit grabestiefer, herzbrechender

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