Heiratsmarkt
teilen. Dann gab Frederica Master Frank den Ball zurück und trennte sich von den Kindern, von einem finsteren Blick ihrer Wächterin und den Beschwörungen der Kinder gefolgt, Hundchen morgen wieder mitzubringen.
Frederica ging ihres Weges, der Vorfall brachte sie nicht aus der Ruhe, sondern bestärkte nur ihre Uberzeugung, dass die Londoner Kinder, die nichts außer Mamas verhätschelte Schoßhündchen kannten, sehr zu bemitleiden waren. Erst als sie um das Gebüsch bog, welches das Aufseherhaus abschirmte, wurde ihr plötzlich deutlich klargemacht, dass der Reiseführer sie betrogen hatte. Er erwähnte die kleine Kuhherde und deren Hüterinnen, die Milchmädchen nicht, ein -wie sie später entdeckte - wohlbekanntes Merkmal des Parks. Sie boten den Augen der Städter nicht nur ein bezauberndes
ländliches Bild, sondern die Hirtinnen, alle mit dem althergebrachten Kostüm der Milchmädchen herausgeputzt, verteilten auch Gläser mit warmer Milch an jeden, der bereit war, die sehr bescheidene Summe für das Privileg, kuhwarme Milch zu trinken, auszulegen.
Zu spät erkannte Frederica die Tücke des Reiseführers. Lufra, der vor ihr dahinstrolchte, erblickte die Herde und blieb einen Augenblick, mit gespitzten Ohren und gesträubtem Fell, wie angewurzelt stehen. Die Leitkuh der Herde, wenige Fuß vor ihm, senkte drohend den Schädel; und Lufra - entweder unfähig oder nicht gewillt, einen Unterschied zwischen den männlichen und weiblichen Angehörigen der Spezies zu machen - stieß einen haarsträubenden Laut aus, halb Bellen, halb Knurren, und warf sich in die Schlacht.
6. KAPITEL
Eine weniger selbstbewusste Frau wäre in dieser Lage geflohen und hätte Lufra seinem Schicksal überlassen, denn die darauffolgende Szene war wahrhaftig schauerlich. Unter dem Gekreisch der Milchmädchen, Kindermädchen und einiger älterer Damen beging Lufra das ungeheure Verbrechen, eine Herde Milchkühe in wilde Flucht zu schlagen. Der Hund wiederholte zwar nicht die Heldentat, die ihm seinen Namen eingetragen hatte, aber als er entdeckte, dass die Kühe vor ihm flohen, jagte er sie auseinander und erfreute sich an dem Spaß, dem einzigen, den man ihm bislang in London geboten hatte.
Frederica dachte nicht im Entferntesten an Flucht. Als es ihr aber endlich gelungen war, mithilfe des Ober-Kuhhirten und zweier Hilfskräfte des stellvertretenden Parkwächters den völlig unbußfertigen Hund einzufangen und festzubinden, wusste sie, dass sie sich in einer verzweifelten Lage befand. Alles ringsumher bot ein Bild des Aufruhrs. Eine der älteren Damen weinte hysterisch, eine zweite verlangte, man solle sofort um einen Polizisten schicken, der Kuhhirte ließ Verwünschungen auf Fredericas Haupt regnen, und die Parkwächter erklärten, sie seien fest entschlossen, Lufra vor seiner unausbleiblichen Hinrichtung einzusperren. Um alles noch schlimmer zu machen, kam das Kindermädchen, mit deren Schützlingen Lufra gespielt hatte, angelockt von dem Aufruhr, herbeigelaufen und begann unverzüglich darzulegen, dass der Hund wild über die Kinder hergefallen sei, die armen kleinen Lieblinge zu Tode erschreckt und ihren Ball gestohlen habe. Master John sei seinetwegen platt aufs Gesicht gefallen, habe sich die Hände aufgeschürft und seine Nankinghosen beschmutzt.
„Aufschneiderei!", sagte Frederica verächtlich.
Weder der Hirte noch die Parkwächter schenkten den Bezeugungen des Kindermädchens große Beachtung. Dem Kuhhirten lag nur an seinen Rindern, und als die Parkwächter die flach angelegten Ohren und den wedelnden Schwanz bemerkten - derart begrüßte Lufra seine jugendlichen Freunde
-, hielten sie ihn keine Sekunde lang für bösartig. Sie erkannten an ihm alle Merkmale einer zu groß geratenen, abscheulichen Promenadenmischung, gerade jung genug, um Unfug zu treiben. Unter anderen Umständen hätten sie sein schlechtes Betragen in einem milderen Licht gesehen. Aber die Vorschriften, die für Londoner Parks gelten, waren streng. Die scharfgesichtige alte Hexe, die sie beschwor, einen Polizisten zu holen, ihre schwächere Schwester, die immer noch von einem Weinkrampf geschüttelt wurde, verschiedene Bürger, die erklärten, solch gefährliche Bestien dürften niemals frei umherlaufen; und eine Gruppe von Kindermädchen, die einstimmig Rache an dem wilden Tier forderten, das die Nerven ihrer hochgeborenen sanften Schützlinge für immer zerrüttet hätte, veranlassten die Parkwächter, den Fall äußerst streng zu beurteilen.
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