Heirs of Kilronan 01 - Geheimnisvolle Versuchung
schmerzte höllisch. Musste Jack ihn ausgerechnet jetzt auch noch heruntermachen? »Dann hätte ich mich also von ihnen umbringen lassen sollen?«
»Nein, aber ...« Jack brach ab und fuhr sich müde mit der Hand übers Gesicht. »Ich will nur sagen, dass es unruhige Zeiten sind. Die Leute sind nervös und suchen einen Sündenbock. Gib ihnen also bitte keinen Anlass, dich dazu zu machen.«
Das ließ Aidan aufhorchen, und er biss die Zähne zusammen und setzte sich wieder auf. »Hast du etwas gehört?«
»Nichts Bestimmtes, aber Gerüchte gibt’s in Hülle und Fülle. Einer alten Frau in Kildare wurde das Haus in Brand gesteckt, nachdem ihre Schwiegertochter sie beschuldigt hatte, eine Hexe zu sein. Eine Familie, die in der Nähe von Rathnure lebte, verschwand ganz einfach. Die Nachbarn sagen kein Wort, aber es geht die Rede vom seltsamen Tun und Treiben des Sohnes und der Tochter, das die Aufmerksamkeit der Gemeindevorsteher erregte. Von wegen Teufelswerk und so was alles.«
Fast genau Smiths Worte. »Verdammter Mist«, murmelte Aidan.
»Die Duinedon sind nervös, Aidan, und die Anderen , zumindest diejenigen, die die Warnzeichen verstehen, halten sich bedeckt. Unter den gegebenen Umständen ist größte Vorsicht angeraten.«
Der Nieselregen draußen verstärkte sich zu einem Platzregen, der gegen die Fenster prasselte und das Tageslicht im Zimmer in ein trübes, kaltes Grau verwandelte. Eine jähe Sehnsucht nach Belfoyle erfasste Aidan. Wie lange war er schon nicht mehr über seine Felder geritten? Wann hatte er das letzte Mal an den öden Ufern des Burren gestanden, das Vorbeikommen unsichtbarer Magier gespürt und das Klingeln von Feenglöckchen gehört? Eine magische Welt befand sich dort gleich hinter den Grenzen seiner Sicht.
Aidan berührte den straffen Verband um seine Rippen. »Glaubst du, dass es jemals einfach sein wird zwischen uns, Jack? Zwischen Anderen und Duinedon , meine ich.«
Sein Cousin antwortete mit einem unverbindlichen Schulterzucken. »Ich würde keine Wette darauf eingehen.«
Und das wollte bei Jack etwas heißen.
Cat saß am Fenster des Salons. Der kurze Regenschauer war einer schwachen, milchig-trüben Sonne und steifen Brise gewichen, die die Leute auf der Henry Street vor sich hertrieb wie eine ungeduldige Hand.
Aufmerksam betrachtete Cat die Gesichter der Passanten. Kein Smith befand sich unter ihnen, eigentlich sogar überhaupt niemand, den sie erkannte. Als wäre die Welt in den drei Jahren, die sie fortgewesen war, weitergezogen und hätte sie zurückgelassen. Als wäre die Miss Catriona O’Connell, die sie kannten, von der Liste gestrichen worden. Ein gefallenes Mädchen. Eine gewisperte Warnung für andere junge Debütantinnen bei ihrer Einführung in die Gesellschaft. Sei vorsichtig, oder du wirst so enden wie sie .
Aber hatten die Leute sie überhaupt richtig gekannt?
Hatte sie sich selbst gekannt?
Kannte sie sich jetzt?
Sie hatte sich so oft neu erfunden, dass sie nicht mehr wusste, wer Cat O’Connell war. Und jetzt sollte sie es schon wieder tun. Aber konnte sie das? Oder hatte sie nach so vielen Verwandlungen letztendlich ihren Kern verloren? Diesen Teil von ihr, der unveränderlich und unvergänglich war? War sie ebenso ein Geist wie die zu Annwin’s Unterwelt verdammten?
Der Gedanke an den Tod brachte sie zu Geordie. Hatte Smith seine Wut und Enttäuschung an dem Kleinwüchsigen ausgelassen? Oder lebte ihr Freund noch und machte sich Sorgen, was aus ihr geworden war? Cat hasste es, es nicht zu wissen, aber die Gewissheit fürchtete sie sogar noch sehr viel mehr.
So viele Menschen, die ihr etwas bedeuteten, waren gekommen und gegangen in ihrem Leben. Ihr Vater war als Erster daraus verschwunden. Er war bei einem Sturm in der See vor Gibraltar umgekommen. Dann Jeremy mit seiner Zungenfertigkeit und den lachenden Augen, der sich für die Verpflichtung einer anderen Frau gegenüber statt für seine Liebe zu ihr entschieden hatte. Ihr Kind, dessen Existenz in Tagen gemessen werden konnte, dessen blasses Gesichtchen ihre Träume jedoch mit unfehlbarer Regelmäßigkeit heimsuchte. Und nun Geordie. Alle waren sie für sie verloren, während sie von einem Leben ins andere purzelte wie ein von den Wellen hin und her geworfenes Stück Treibgut.
Da sie es nicht mehr aushielt, mit nichts als ihren eigenen Gedanken zur Gesellschaft noch länger herumzusitzen, verließ Cat den Salon und stieg die Treppe zu den oberen Korridoren hinauf, die kalt und nur schwach
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