Heirs of Kilronan 01 - Geheimnisvolle Versuchung
kreidebleich. »Er ist hier.«
»Wer?«
Aber die Leere, wo er gerade noch gestanden hatte, konnte ihr keine Antwort geben.
Nicht, dass sie eine gebraucht hätte.
Aidan stürmte die dunkle Treppe hinunter, rannte durch das Haus und hielt nur lange genug inne, um die geladene Pistole aus der Truhe in der Halle und ein Messer aus der Küche zu holen.
Was er mit den Waffen anfangen sollte, war ihm selbst nicht klar. Lazarus würden sie jedenfalls bestimmt nicht aufhalten. Sie würden ihn kaum verlangsamen, wenn er von seiner letzten Begegnung mit dem Domnuathi ausgehen konnte. Aber er musste es wenigstens versuchen. Für das Tagebuch. Für Cat, auch wenn sie ihn im Moment zum Teufel wünschte. Nicht, dass er das nicht verdiente. Ihre jüngste Offenbarung machte ihm noch immer sehr zu schaffen, aber der erste Schock, der ihn wie ein Blitz getroffen hatte, war inzwischen überwunden. Ja, das war genau das, was es war. Cat – die leibhaftige Gewitterwolke. Ein regelrechter Sturm, der jede vorgefasste Vorstellung von dem, was er wollte – oder wen er wollte –, wegblies.
Er lief zu der breiten Hintertreppe hinaus, die in den Garten führte. Ein gelber Mond hing über den Bäumen, der aussah, als wäre ihm ein Stück herausgenommen worden, und blass an einem Himmel hing, der schwarz wie Tinte war.
Irgendwo da draußen wartete Lazarus. Die Härchen an Aidans Nacken richteten sich auf. Seine Haut juckte und spannte sich, als dehnte und erweiterte sich sein ganzer Körper, um den Eindringling im Dunkeln auszumachen. Das Messer in der Hand, stieg er langsam die Stufen hinunter und suchte mit den Augen die Terrasse und den Garten nach einer Bewegung ab.
»Lazarus!«, schrie er. »Ich weiß, dass du da draußen bist. Ich kann deinen Leichengestank riechen!«
Wahrscheinlich war es nicht gerade das Klügste, einen Mann zu verhöhnen, der ihn auf tausend verschiedene Arten töten konnte, aber Aidan konnte sich nicht zurückhalten. Leise trat er noch näher an den Terrassenrand. Selbst der Himmel, halb in den Wahnsinn getrieben von einer Nacht, die dermaßen außer Kontrolle geriet, schien in einem eigenartig schiefen Winkel über ihm zu hängen.
»Du hast wohl Angst, mir wie ein Mann gegenüberzutreten? Ach ja, richtig – du bist ja gar kein Mann! Du bist ein Gespenst, das nicht mehr Macht hat, als dein Schöpfer dir gegeben hat!«
In einem Versuch, Lazarus vom Haus wegzulocken, arbeitete Aidan sich vorsichtig auf das nächstgelegene Gehölz zu. Er hatte es bis zu den ersten dürren Bäumchen geschafft, als Lazarus hinter ihm erschien. Zuerst war er nicht mehr als ein weiterer Schatten unter vielen, bis der Domnuathi sich aus dem Dunkel löste und auf die Lichtung trat.
Verdammt!, dachte Aidan, der schon fast vergessen hatte, wie ungeheuer groß die Kreatur war. Sein Kopf streifte die Baumäste, von seinem Gesichtsausdruck war in der Dunkelheit jedoch nicht viel zu sehen, mit Ausnahme der unmenschlichen, raubtierhaften Augen, die Aidan mit der Leere eines Grabes ansahen und brannten wie zwei glühende Kohlen.
»Dafür wirst du einen langsamen und qualvollen Tod erleiden.« Lazarus’ Stimme war rau und krächzend, als benutzte er sie nur sehr selten. Seine Hand bewegte sich zu seiner Taille, wo der Umriss einer nichts Gutes verheißenden, langen, breiten Schwertscheide zu erkennen war, die Aidan vergeblich zu ignorieren versucht hatte. »Aber zuerst will ich das Tagebuch.«
Aidan zog die Pistole aus dem Gürtel und richtete sie auf Lazarus’ Brust. Der Soldat aus Domnu lächelte, ein schmales, schreckliches Lächeln, das voller Trauer und Sehnsucht war und Aidan seine letzte Hoffnung nahm. Dieser Mann wollte sterben. Er würde seinen Tod begrüßen. Und wer konnte sich schon gegen einen Narren behaupten, der mit solch unverhohlener Sehnsucht seinem eigenen Tod entgegensah?
»Könntest du es doch nur, Kilronan«, seufzte er, als hätte er Aidans Gedanken erraten. »Dann würde ich dich vielleicht sogar am Leben lassen.«
Und dann griff er an.
Cat hämmerte gegen die Schlafzimmertür und rüttelte am Türknauf. »Wachen Sie auf, Sir! Bitte. Stehen Sie auf. Aidan braucht Sie!«
Schluchzend lehnte sie sich an die Tür – und stürzte fast in das Zimmer, als die Tür aufgerissen wurde und Maude, in Nachthaube und Morgenmantel, das Haar zu einem unordentlichen Zopf geflochten, vor ihr stand.
Daz saß in dem mächtigen Himmelbett hinter Maude und rieb sich die Augen.
»Was zum Teufel soll das?«, schimpfte Maude.
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