Heiss wie der Sommer
sie, konnte ihm aber noch immer nicht in die Augen sehen. „Dort kann man auch sehr gut ein Kind großziehen.“
Hal atmete schwer aus. „
Du
warst hier glücklich.“
„Ja“, gab sie steif zurück. „Bis zu dem Tag, an dem ich zur
Persona non grata
wurde.“
Kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, bereute sie sie auch schon. Hal erholte sich von einem schweren Herzinfarkt, und das war ganz sicher nicht der richtige Zeitpunkt, um in der Vergangenheit zu wühlen.
Hal schwieg lange Zeit, und als er schließlich etwas entgegnete, fühlte sich Lilys Kehle wie zugeschnürt an. „Du warst nie eine
Persona non grata
, Lily“, beteuerte er mit erschöpft klingender Stimme. „Deine Mutter und ich haben dich sehr geliebt. Nur haben deine Mutter und ich
uns
nicht mehr geliebt, und du warst die Leidtragende. Das bedauere ich wirklich zutiefst.“
Sie wollte ihn jetzt und hier fragen, warum er dann den Kontakt zu ihr abgebrochen hatte, doch sie fürchtete, für die Antwort darauf nicht stark genug zu sein.
„Ich schätze, unter einer Scheidung leiden alle“, sagte sie. „Erwachsene genauso wie Kinder.“
Mit einem Seufzer, der Lily zu Herzen ging, stand ihr Vater vom Schreibtischstuhl auf, kam zu ihr und setzte sich ihr gegenüber in den zweiten Sessel. „Erzähl mir von deiner Scheidung, Lily. Wie lange warst du unglücklich, bis du zu dem Entschluss kamst, dich von Burke scheiden zu lassen?“
Lily ließ den Kopf sinken. „Zu lange“, flüsterte sie.
„Er hat dich mit anderen Frauen betrogen, nicht wahr?“
Sie musste schlucken, dann nickte sie und sah ihrem Vater in die Augen. „Mom sagt, sie hat dich verlassen, weil du sie betrogen hast. Stimmt das, Da… Hal?“
Er lächelte sie traurig an. „Die Welt wird nicht untergehen, wenn du mich ‚Dad‘ nennst.“ Er rutschte im Sessel umher, griff nach einer Pfeife aus dem Ständer auf dem Tisch neben ihm und stellte sie wieder weg, als er Lilys mahnenden Blick bemerkte. „Um deine Frage zu beantworten: Ich war deiner Mutter treu, jedenfalls im buchstäblichen Sinn des Wortes.“
„Was soll denn
das
heißen?“
„Dass wir beide, Lucy und ich, einfach zu verschieden waren“, erwiderte er bedächtig. „Sie liebte die Großstadt und das Neonlicht, ich war damit zufrieden, als Tierarzt auf dem Land zu leben. Sie wollte ein teures Auto fahren, aber ich war dagegen, obwohl wir es uns hätten leisten können. Es gefiel mir nicht, wie das auf die Menschen gewirkt hätte, die sich kaum ein Essen leisten konnten. Wenn man es genau nimmt, dann warst du das Einzige, was wir gemeinsam hatten.“
Ja, sicher
, wollte Lily sagen, hielt aber den Mund.
Hal lachte, klang aber sehr müde. Es wurde Zeit, dass er seine Medikamente einnahm und sich schlafen legte. Sie wollte aufstehen, um den Beutel voller Arzneimittel zu holen, die der Arzt ihnen mitgegeben hatte.
„Bleib sitzen, Lily“, forderte Hal sie auf, und Lily ließ sich zurück in den Sessel sinken. „Ich will wissen, was mit Burke war. Nicht die offizielle Version, sondern das, was sich tatsächlich abgespielt hat. Wie war er wirklich?“
„Oberflächlich“, antwortete sie, nachdem sie eine Zeit lang nachgedacht hatte. „Witzig, schlagfertig, unterhaltsam und selbstbewusst.“
„Und bei den Frauen sehr beliebt?“ Hal fragte mehr beiläufig, doch er ließ keinen Zweifel daran, dass er eine Antwort von ihr hören wollte, und zwar eine ehrliche Antwort. Es war deutlich, dass er nicht lockerlassen würde, bevor sie sich ihm nicht offenbart hatte.
„Sehr beliebt“, bestätigte sie. „Rückblickend gab es viele kleine Hinweise darauf, dass da etwas lief. Anrufer, die gleich wieder auflegten, seltsame Abbuchungen auf seinen Kreditkartenrechnungen, Kondome in seinem Koffer, obwohl wir nie welche benutzten. Kleinigkeiten dieser Art eben. Ich tat so, als würden sie mir gar nicht auffallen, wahrscheinlich, weil ich den Gedanken an die Wahrheit nicht ertrug. Dabei war es fast so, als
wollte
Burke, dass ich von seinen Affären erfuhr. Ich rief in seinem Hotelzimmer an, wenn er auf einem Flug war, und eine Frau meldete sich. Dann behauptete er, die ganze Crew sei in seinem Zimmer gewesen, um zu feiern, mal einen Geburtstag, mal ein Dienstjubiläum oder eine Verabschiedung in den Ruhestand …“ Sie hielt inne und schüttelte den Kopf darüber, wie naiv sie doch gewesen war. „Bis er mit seinem Flugzeug in den Tod flog, dachte ich, er wollte mich dazu bringen, dass ich die Initiative ergreife, damit
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