Heiss wie der Sommer
noch im Wohnzimmer davon geschwärmt, wie ungefährlich es für ein Kind war, in Stillwater Springs aufzuwachsen? Da sie wusste, dass er zu müde war, wollte sie ihn nicht auf diesen offensichtlichen Widerspruch aufmerksam machen.
Jetzt muss ich an dich und Tess denken.
War er bereits davon überzeugt, sie beide würden auf Dauer hierbleiben, wenn er vollständig genesen war?
Sie legte die Tabletten auf ein Küchentuch und gab es ihm zusammen mit einem Glas Wasser, dann achtete sie darauf, dass er sie auch tatsächlich schluckte.
„Gute Nacht, Liebes“, sagte er und stellte das leere Glas ins Spülbecken.
Wann hatte er sie zum letzten Mal ‚Liebes‘ genannt?
Das war in der Nacht gewesen, als Tyler Creed ihr das Herz gebrochen hatte. War das wirklich schon
so lange
her?
Lily schloss die Augen und wartete, bis Hal die Küche verlassen hatte und sie hörte, wie er seine Schlafzimmertür hinter sich schloss.
Dann weinte sie um all die kleinen Mädchen, die keinen Vater hatten.
Und auch um die großen Mädchen.
4. KAPITEL
D er Altersunterschied von fünfzehn Jahren war Doreens hagerem Gesicht inzwischen viel deutlicher anzusehen als damals. In ihrer Dienstbekleidung des Kasinos wirkte sie sehr dünn, und ihre Stirn wurde von tiefen Falten durchzogen. Sie bekam allmählich Tränensäcke. Ihr Mund hatte einen kantigen, harten Zug, der Lippenstift war deutlich zu rot und recht nachlässig aufgetragen.
Doch ihre müden Augen nahmen einen sanfteren Ausdruck an, als sie Tyler in einem der Restaurants des Kasinos entdeckte. Davie saß ein Stück von ihm entfernt an einem Tisch, trank eine Limo und las ein Comicheft.
Er sieht mir nicht sehr ähnlich, überlegte Tyler mit einem Anflug von Bedauern. Andererseits hatte er selbst auch keine große Ähnlichkeit mit Jake Creed. Insgeheim hatte er sich oft ausgemalt, seine Mutter sei in Wahrheit fremdgegangen und eigentlich sei ein ganz anderer Mann sein Vater. Doch an diesem Traum zweifelte er sehr stark. Die arme Angie schien nie die Kraft besessen zu haben, um Jake auf diese Weise zu trotzen. Vielleicht hatte sie ihren Mann auch nur zu sehr geliebt, um ihn zu betrügen.
Aber am Ende war es diese Liebe gewesen, die sie zugrunde gerichtet hatte.
„Tyler“, sagte Doreen und hauchte seinen Namen fast.
„Doreen“, gab er zurück und nickte ihr zu. Jetzt, da er der Frau gegenüberstand, die ihm womöglich verschwiegen hatte, dass Davie sein Sohn war, konnte er sich an nichts mehr erinnern, was er ihr eigentlich alles hatte sagen wollen. Auf dem Weg in die Stadt, mit Kit Carson auf dem Beifahrersitz, hatte er ein paarmal seinen Auftritt geprobt. Doch das war jetzt alles vergessen.
„Ich könnte in einer halben Stunde Pause machen“, schlug sie vor.
Wieder nickte er nur. Er hatte Kit Carson bei Cassie abgesetzt, damit der Hund nicht so lange im Wagen warten musste. Und damit er selbst sich die Zeit nehmen konnte, die er für das hier brauchte.
Doreen zögerte kurz, sah zwischen Tyler und Davie hin und her, dann machte sie seufzend kehrt und nahm die nächste Bestellung auf.
Alles an ihr, wie sie sich bewegte, wie sie redete, zeigte ihm, wie sehr sie ihr Leben verabscheute, ohne aber zu wissen, wie sie daran etwas ändern sollte.
Ganz im Gegensatz zu Angela Creed. Die hatte einen Weg gefunden, um etwas zu ändern. Und sie hatte sich den Teufel darum geschert, wie viel Leid und Elend sie damit anderen bereitete.
Tyler näherte sich dem Tisch, an dem Davie saß. „Darf ich mich setzen?“
Der Junge hob nicht mal den Kopf, sondern zuckte nur mit den Schultern.
Die Titelseite des Comics zierte eine Frau, die von einem abscheulichen Monster verspeist wurde. Davie schien wie gebannt davon zu sein.
Er nahm ihm gegenüber Platz, winkte eine Kellnerin zu sich und bestellte einen Kaffee. Zwar trank er hin und wieder ganz gerne mal ein Bier, aber bei einem Vater wie Jake Creed und einer wilden Jugend, die noch gar nicht so lange zurücklag, war es sinnvoll, wenn man seinen Alkoholkonsum einschränkte. Einen Moment lang fragte er sich, ob Logan und Dylan wohl auch so umsichtig waren.
„Gute Story?“, fragte er.
„Was kümmert Sie das?“, hielt Davie dagegen.
„Tut das nicht weh?“, machte Tyler weiter und musterte irritiert das Metall in der Augenbraue. Der Silberring in der Unterlippe ließ ihn ein wenig schaudern, und nach den vielen Kneipenschlägereien, in die er verwickelt gewesen war, wollte diese Reaktion schon etwas heißen.
„Nur als die Löcher
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