Heiß wie der Steppenwind
echter Lohn. Und so erfuhr ich nun aus einer Zeitung, daß Du in Köln bist. Was sagst Du jetzt?
Mit Dunja stehe ich in dauernder Verbindung. Ich schreibe ihr unter dem Namen Heiko Nappanainen, so heißt der 1. Sargträger unserer Firma. Dunjuscha ist II. Oberärztin im Klinikum Leningrad. Es geht ihr gut, und wenn es möglich ist, will sie über mich an Dich schreiben.
Mein Söhnchen, paß auf Dich auf. Verliere nicht die Geduld. Ich drücke Dich an mein Herz. Du bist nicht mehr allein in der Fremde … Dunja und ich sind wieder bei Dir … aber, eine Frage, Söhnchen: Wie soll es jetzt weitergehen?«
Pjetkin fragte sich das selbst. Er las den Brief ungezählte Male, saß vor dem Foto Dunjas und bekam ein Heimweh, das ihn fast erwürgte. Per Telefon gab er ein Telegramm an Marko nach Helsinki durch: »Ich danke Dir. Sag Dunja, daß ich einen Weg finde. Ich küsse sie.«
Dunja ist zu erreichen, dachte Pjetkin und lief in seinem Zimmer von Wand zu Wand. Jetzt muß ich handeln, jetzt muß etwas geschehen. Leningrad ist greifbar. Wo ist der lange Arm, der bis dorthin reicht?
Er wurde ihm angeboten, aber in einer Form, die Pjetkin nicht mehr annehmen konnte. Er bekam Besuch eines unscheinbaren Mannes, der sich Leonid Arkadjewitsch Wolkin nannte und sich als Mitglied der sowjetischen Handelsmission in Köln vorstellte. Er blickte sich im Zimmer Pjetkins suchend um und drückte ein Taschentuch vor seinen Mund. So wurde seine Stimme undeutlich und nur für nahe Ohren verständlich. »Kann man hier sprechen?« fragte er.
»Natürlich. Hier kleben keine Mikrophone hinter der Tapete.«
»Trotzdem. Gehen wir in eine Wirtschaft.«
Wolkin fuhr Pjetkin in die Stadt, und dort, in einer altkölschen Bierstube am Rhein, setzten sie sich in eine Ecke, bestellten zwei Kölsch und betrachteten sich gegenseitig mit großem Interesse.
»Plochow schickt Sie, nicht wahr?« fragte Pjetkin.
»Nein. Plochow hat andere Aufgaben. Wir korrespondieren direkt mit Moskau, und Moskau ist unzufrieden mit Ihnen, Igor Antonowitsch.«
»Warum? Man hat mir gesagt: Laß dir Zeit, Genosse.«
»Nicht so viel Zeit! Sie sind nicht aktiv genug. Sie enttäuschen. Welche Möglichkeiten haben Sie ausgelassen, Möglichkeiten, die traumhaft waren. Ihr Kontakt zu dem alten Idioten von Bargent – was haben Sie daraus gemacht?«
»Nichts.«
»Und warum nicht? Hat man Ihnen kein Angebot unterbreitet?«
»Zwei –«, sagte Pjetkin mit Behagen.
»Und?«
»Ich habe abgelehnt.«
»Sie Idiot!« Wolkin umklammerte sein schmales Bierglas. »Waren Sie betrunken? Er sitzt auf der Quelle und scheißt sie zu – kann man das begreifen?«
»Sie werden vieles nicht mehr begreifen, Leonid Arkadjewitsch. Ich war nie so nüchtern wie damals und bin noch nüchterner geworden.«
»Was heißt das?« fragte Wolkin verwirrt.
»Ich bin Arzt und weder ein geborener noch ein erzogener Spion. Man muß Geduld haben in Moskau – man kann mich nicht einfach umfunktionieren, wie man eine Schraube an einer Maschine verstellt –«
»Denken Sie an Dunja!«
»Tag und Nacht.«
»Das genügt nicht. Tun Sie etwas für sie …«
»Bestimmt, Genosse Wolkin.« Pjetkin stand auf. Man sollte den festen schönen Stuhl auf seinem Schädel zertrümmern und den Schädel mit, dachte er. »Melden Sie dem KGB, daß es von mir hören wird …«
»Wann?«
»Ich weiß es nicht. Starobin hat mir zwei Jahre Zeit gegeben.«
»Starobin ist tot.«
»Was?« Pjetkin umklammerte die Stuhllehne. »Das ist nicht möglich.«
»Vor drei Tagen. Er starb an einer Fischgräte, die ihm im Halse steckenblieb. Er aß so gern Stör. Bis der Arzt kam, war er schon erstickt. Ein unschöner Tod, aber wissen wir, wie wir einmal zugrunde gehen?« Wolkin räusperte sich. »Was Starobin sagte, ist also überholt. Der neue Mann heißt Wasnolow und hat mit Ihnen kein Waisenhaus geteilt … Bedenken Sie das, Igor Antonowitsch.«
»Ich werde es mir merken, Leonid Arkadjewitsch. Ich sehe ein – ich muß mich beeilen …«
Zufrieden fuhr Wolkin in der Nacht Pjetkin zurück zum Ärztehaus der ›Lindenburg‹. Sie hatten beide getrunken, umarmten sich beim Abschied und küßten sich.
Starobin tot … an einer lächerlichen Gräte erstickt … Der arme, kleine, häßliche, von Komplexen zerfressene Njelep. Stirbt an einer Gräte, von einem Stör, den er so gerne aß … Igor lehnte sich an die Treppenwand und schloß die Augen. Die Welt wird immer einsamer, aber Moskau wartet nicht länger. Igor Antonowitsch Pjetkin,
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