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Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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schreiben?«
    »Ja.«
    Sie sah den Bahnhof näher kommen, sah den Zug, der sie wegbringen würde aus der Hölle, und eine Flut von Freude überspülte sie. »Fahren Sie schneller, Dobronin!« rief sie.
    »Wir hängen in zwei Sekunden im Graben. Dunja Dimitrowna.«
    »So schnell Sie können … Ich will in den Zug … in den Zug …«
    Dobronin nickte wortlos. Sie haßt uns alle, dachte er. Jede Minute Workuta ist eine verlorene Minute … hat sie nicht recht? Wenn jemand zu mir sagte: Du darfst nach Leningrad … zu Fuß würde ich durch die Tundra wandern.
    Zwei Stunden später dampfte der Zug aus Workuta hinaus mit Verspätung, weil zwei Weichen aufgetaut werden mußten. Dobronin winkte Dunja nach, bis er sie nicht mehr sah, dann steckte er die Hände in seinen dicken Fellmantel und sprach den Bahnbeamten an, der den Zug hatte abfahren lassen. »Was würden Sie tun, wenn Sie sich selbst zuwider sind?«
    Der Beamte blickte den Mann mit der hohen weibischen Stimme verblüfft an. Auf einem Bahnsteig kann man viel erleben, aber eine solche Frage war neu. »Nichts«, sagte er. »Ich habe Frau und Kinder.«
    »Danke.«
    Dobronin zockelte zurück ins Frauenlager, erfuhr, daß die Stepanowna auf ihrem Zimmer war, ging zu ihr, riß ohne anzuklopfen die Tür auf und sagte, vom Laufen außer Atem: »Wir heiraten, Täubchen. Keine Widerrede. Ich habe heute einige Löffel Weisheit geschluckt.«
    Zwei Tage brauchte Dunja, bis sie in Leningrad eintraf. Der Pförtner des Klinikums wollte sie nicht einlassen, so abgerissen nach Leningrader Begriffen sah sie aus. Erst als sie den I. Oberarzt verlangte und sprechen konnte, gelangte sie durch die breite Glastür ins Haus.
    »Eine Ärztin«, stammelte der Pförtner. »Jesus Christus, sind wir schon so knapp, daß wir sie aus dem Müll holen?«
    »Wir haben Sie schon erwartet«, sagte der I. Oberarzt zu Dunja. »Wir geben Ihnen zwei Tage frei, damit Sie sich einkleiden können. Die Genossin Dr. Faluna wird Sie überall hinführen und beraten. Hier ist Ihr Zimmer. Wie fühlen Sie sich?«
    »Müde … wie an einem fremden Ufer gestrandet.«
    Dunja setzte sich auf die Bettkante. Wo ist Igor jetzt, dachte sie. Wie hat Deutschland Igor aufgenommen? Ob er jetzt glücklich ist …? »In welche Abteilung komme ich?« fragte sie.
    »In die II. Medizinische Klinik, Fachabteilung Thoraxerkrankungen. Chef ist Prof. Dr. Winnolowskij. Moskau hat Sie uns als II. Oberärztin empfohlen. Prof. Winnolowskij wird Sie heute abend selbst begrüßen.«
    Dann war sie allein, in einem riesigen Haus mit Hunderten von Fenstern, umgeben von steriler Sauberkeit, in der sie sich wie ein Dreckhaufen vorkam. Sie zog sich aus, knüllte ihre Kleidung und Wäsche zu einem Kloß zusammen und warf ihn in einen Mülleimer, der unter dem Waschbecken stand. Sie stellte sich unter die Dusche, ließ das Wasser erst heiß, dann kalt über sich regnen und schrubbte die Haut mit Seife und Bürste. Dann warf sie auch diese weg … die letzten Andenken an Workuta bis auf das von den Gefangenen geschnitzte Kreuz und das Foto des Wanderfotografen Timbaski. Blieb nur noch der Wolfspelzmantel … Dunja wollte ihn verschenken, irgendeiner armen Frau auf der Straße. Lösch Workuta aus, sagte sie sich.
    Das Telefon schellte. Nackt, noch triefend vor Nässe, tappte sie durchs Zimmer und hob ab.
    »Ich habe noch etwas vergessen«, sagte der I. Oberarzt. Er hieß Julian Iwanowitsch Zaranow, ein stolzer Mensch, der an einer großen wissenschaftlichen Arbeit schrieb und einer erfolgreichen Zukunft entgegenlebte. »Für Sie kam ein Anruf an, gestern. Aus Finnland. Helsinki. Ein Genosse Godunow fragte nach Ihnen. Kennen Sie ihn?«
    »Ein flüchtiger Bekannter«, sagte Dunja. Ihr Herz schlug schmerzhaft und so laut, daß sie den Hörer weiter von sich abhielt und sich beim Sprechen zur Muschel vorbeugte. »Ein ganz flüchtiger Bekannter, Julian Iwanowitsch. Nicht so wichtig –«
    Marko war schon in Helsinki. Es war ihr, als regnete Gold von den Sternen.

A CHTUNDVIERZIGSTES K APITEL
    Es gibt Zeiten, da verläuft ein Leben nur in Episoden. Man kann darüber reden, aber keinen interessiert es, denn Alltäglichkeiten erlebt man selbst genug, der heutige Tag ist so mies wie der gestrige und der morgige sein wird, ein Dasein aus der Perspektive einer Schnecke.
    Auch Pjetkins Leben normalisierte sich so schnell und gründlich, daß er sich vorkam wie ein Wassertropfen, den ein riesiger Schwamm lautlos aufsaugte.
    Er reiste nach Köln, stellte sich bei

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