Heiße Hüpfer
hier«, fuhr Rincewind fort. »Je mehr Geographie es gibt, desto weniger Geschichte ist vorhanden. Habt ihr das schon bemerkt? Mehr Raum, weniger Zeit. Ich wette, dieser Ort brauchte nur ein oder zwei Sekunden, um schon seit Jahrtausenden hier zu sein, versteht ihr? Kürzer an der Außenseite. Ist doch völlig klar.«
»Ich glaube, ich habe nicht genug Bier getrunken, um das zu verstehen«, sagte der Dekan.
Etwas stieß ihm von hinten gegen die Beine. Er blickte nach unten und sah Truhe. Es war eine ihrer Angewohnheiten, sich Menschen so sehr zu nähern, daß sich die Betreffenden füßemäßig weit unterlegen fühlten.
»Oder dies«, fügte er hinzu.
Die Zauberer wurden stiller, als Rincewind sie tiefer in die Höhle führte. Er wußte nicht genau, wer ihn führte. Aber keine Sorge.
Entgegen den Erwartungen wurde es heller, je tiefer sie in die Kaverne vorstießen. Die Verbreitung von leuchtenden Pilzen und irisierenden Kristallen in tiefen Höhlen, wo der sorglose Held ohne eine Fackel sehen muß, ist ein typisches Beispiel dafür, wie sich narrative Kausalität im physischen Universum auswirkt. In diesem Fall glühten die Felsen, aber es ging nicht etwa ein sonderbares inneres Licht von ihnen aus; sie leuchteten wie im Sonnenschein – obwohl hier natürlich keine Sonne schien.
Die Arbeitsweise des menschlichen Gehirns basiert auf gewissen Prinzipien, und eines davon lautet: je größer der Ort, desto leiser die Stimme. Damit ist die Tendenz gemeint, ganz leise zu sprechen, wenn man mit etwas Großem konfrontiert wird. Als Erzkanzler Rincewind in die große Höhle trat, flüsterte er: »Donnerwetter, diese Höhle ist wirklich groß !«
Der Dekan hingegen rief: »Haa-loo!« Es ist immer einer dabei, der das Echo ausprobiert.
Auch hier gab es jede Menge Stalaktiten, und in der Mitte berührte ein riesiger Stalaktit fast den ihm entgegenwachsenden Stalagmiten.
Die Luft war erstickend heiß.
»Hier stimmt was nicht…«, begann Rincewind.
Pling.
Schließlich entdeckten sie die Ursache dieses Geräuschs. Ein wenig Wasser rann an der Seite des Stalaktiten entlang und formte Tropfen, die einen knappen Meter tief auf den Stalagmiten fielen.
Ein weiterer Tropfen formte sich, während die Zauberer zusahen – und blieb hängen.
Ein Zauberer kletterte an dem trockenen Stalagmitenhang empor und sah sich die Sache aus der Nähe an.
»Er bewegt sich nicht«, berichtete er. »Und es rinnt auch kein Wasser mehr an dem Ding herab. Ich glaube, es… verdunstet.«
Der Erzkanzler wandte sich an Rincewind. »Nun, wir sind dir bis hierher gefolgt, Kumpel«, sagte er. »Was nun?«
»Ich glaube, ich könnte noch ein Bier vertragen…«
»Wir haben keins mehr.«
Rincewind sah sich verzweifelt in der Höhle um, und schließlich verharrte sein Blick an der großen, glänzenden Kalksteinmasse.
Sie lief spitz zu. Und sie befand sich genau in der Mitte der Höhle. Ihr haftete etwas Unvermeidliches an.
Eigentlich seltsam, daß sich so etwas hier unten bildete und ebenso glitzerte wie die Perle in einer Auster. Erneut bebte der Boden. Weiter oben wurden die Menschen vermutlich bereits durstig und verfluchten die Windmühlen mit besonders ausdrucksstarken icksianischen Flüchen. Daß es kein Wasser mehr gab, war schon schlimm genug. Aber wenn auch das Bier ausging, war die Geduld der Leute bestimmt schnell erschöpft…
Die Zauberer warteten darauf, daß er etwas unternahm.
Na schön, dachte Rincewind. Beginnen wir mit dem Felsgestein. Was wußte er über Felsen und Höhlen in diesem Land?
Solche Situationen brachten eine eigentümliche Freiheit mit sich. Welche Entscheidung er jetzt auch immer traf – sie bescherte ihm auf jeden Fall Schwierigkeiten. Was bedeutete, daß er durchaus einen Versuch wagen konnte…
»Ich brauche Farbe«, sagte er.
»Wofür?«
»Für das, was ich vorhabe«, sagte Rincewind.
»Wie wär’s mit dem jungen Salid?« meinte der Dekan. »Er betätigt sich manchmal künstlerisch. Wir könnten ihm einen Besuch abstatten und die Tür eintreten, falls es notwendig sein sollte.«
»Und bringt Bier mit!« rief Rincewind den Zauberern nach.
Neilette klopfte ihm auf die Schulter. »Hast du vor, Magie einzusetzen?« fragte sie.
»Ich weiß nicht, ob so etwas hier als Magie gilt«, erwiderte Rincewind. »Tretet zurück – für den Fall, daß es nicht funktioniert.«
»Ist es gefährlich?«
»Nein, aber vielleicht muß ich losrennen, ohne zu sehen, wohin ich laufe. He… das Gestein ist warm. Hast
Weitere Kostenlose Bücher