Heisse Liebe in eisiger Nacht
habe ich eine Sozialarbeiterin geschlagen“, warf sie ein.
„Was?“, rief er ungläubig.
„Wirklich. Das war nach Grandpas Tod. Die Frau sagte uns, dass ich und Seth vielleicht nicht in dasselbe Waisenhaus kommen könnten, und da habe ich sie geschlagen.“
„Du lieber Himmel, Genevieve, wovon redest du? Wie alt warst du da?“
„Elf.“
„Und wo waren deine Eltern?“
„Wir haben unseren Vater – oder Väter – nie kennengelernt. Und unsere Mom hatte uns schon ein Jahr davor einfach bei Grandpa abgeladen und war auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Verantwortungsbewusstsein“, fuhr sie mit einer für sie ungewohnten Bitterkeit fort, „war nie ihre Sache.“
„Und ihr seid dann in ein Waisenhaus gekommen, oder wurdet ihr von einer Pflegefamilie aufgenommen?“
„Beides. Es war gar nicht so schlimm, als erst mal klar war, dass ich nicht zulassen würde, von meinem Bruder getrennt zu werden. Wir durften einige Male die Ferien mit Grandpas Geschwistern verbringen, bis auch die starben. Mit siebzehn fand ich einen Job, nahm mir eine Wohnung und erhielt die Vormundschaft über Seth. Als dann später mein Großonkel Ben starb, hinterließ er mir diese Hütte hier und genug Geld, dass ich die erste Rate für den Buchladen zahlen konnte.“
Er wusste nicht, was er sagen sollte. Aber bei Genevieve brauchte er sich nie Sorgen zu machen, dass das Schweigen zwischen ihnen sich zu lange hinziehen könnte.
„Ich habe immer gedacht, dass es schön sein muss, Teil einer großen Familie zu sein“, sagte sie zu seiner Überraschung. „Menschen um dich zu haben, die dich in- und auswendig kennen und denen es wichtig ist, was aus dir wird.“
Die Wehmut in ihrer Stimme ging Taggart zu Herzen. Er wünschte sich, er könnte ihre verantwortungslosen Eltern finden und ihnen genau das geben, was sie verdienten. Aber leider wusste er nur allzu gut, dass man die Vergangenheit nicht ändern konnte. Es gab nur das Hier und Jetzt. „Es kann sicher schön sein, zu einer großen Familie zu gehören“, sagte er. „Aber glaub mir, es hat auch seine Nachteile.“
„Was denn für welche?“
„Nun ja …“ Er war entschlossen, die Melancholie aus ihren Augen zu vertreiben. „Ich glaube nicht, dass ich je allein in einem Zimmer geschlafen habe oder am Telefon geredet habe, ohne dass jemand mitgehört hätte. Und das alles, bis ich genug Geld zusammengekratzt hatte und mir ein Hotelzimmer mieten konnte, als ich achtzehn war. Nichts war den anderen heilig. Essen, Schuhe, deine Zahnbürste – alles wurde von den anderen mitbenutzt. Der Begriff ‚meine Sachen‘ existierte nicht. Saubere Klamottengehörten dem, der sie sich am schnellsten schnappte. Erst in Blackhurst brauchte ich meine verdammte Unterwäsche nicht mehr vor Plünderern zu verteidigen.“
Sie lachte. „Hör dir bloß an, wie wir beide jammern. Wenn wir ein Buch schreiben würden, würde es heißen: ‚Zwei von ihrer elenden Kindheit für immer Gezeichnete.‘“ Ihr Kichern ging in ein herzhaftes Gähnen über. Sie lächelte. „Himmel, was sind wir für ein trauriges Paar.“
Einen Moment dachte Taggart, dass sie recht hatte, aber dann gab er sich einen inneren Ruck. Sie konnten kein Paar sein, ob nun traurig oder nicht. Weil Genevieve immer noch nicht die Wahrheit über ihn wusste. Und eher würde die Welt untergehen, bevor er zuließ, dass sich daran etwas änderte.
9. KAPITEL
Genevieve trat von einem Fuß auf den anderen, während sie in ihrer Tasche nach ihrer Wollstrumpfhose suchte.
Sie trug nur Socken, Slip und BH und zitterte am ganzen Leib. Der Raum hatte sich noch nicht erwärmt von dem Feuer, das Genevieve als Erstes gemacht hatte, als sie aus dem Bett gestiegen war. Dennoch war die Kälte nicht der Hauptgrund für ihre Unruhe. Der Hauptgrund war gerade aus dem Bad geschlendert und stand nur ein Dutzend Schritte von ihr entfernt, die Hüfte an den Türrahmen gelehnt und die muskulösen Arme vor der nackten Brust verschränkt.
Taggart starrte sie unverhohlen an, und es fiel Genevieve schwer, sich auf ihre Suche zu konzentrieren. Dabei wusste sie, dass ihre Reaktion völlig albern war. In der vergangenen Nacht hatten sie sich auf alle nur möglichen Arten geliebt, es gab keinen Zentimeter ihres Körpers, den er nicht mit seinen großen Händen berührt hatte, nicht mit seinen sinnlichen Lippen geküsst oder mit seinen unergründlichen grünen Augen betrachtet hatte.
Allerdings hatten all diese Intimitäten während der Nacht
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