Heißer Schlaf
nicht verlegen wurde, als sie ihn vorsichtig auszog, sein Bein bewegte, ohne ihm wehzutun, und ihn so beiläufig berührte, daß er keine Scham empfand. Dann drehte sie ihm den Rücken zu und zog sich auch aus. »Ich habe keine zusätzlichen Decken mitgebracht. Ist unter deinen noch ein wenig Platz?« fragte sie.
»Ich kann nicht – ich kann nichts tun«, sagte er. »Mein Bein – ich kann nicht…«
»Das erwartet auch niemand von dir«, sagte sie und berührte zärtlich seine Stirn. »Dafür haben wir noch genug Zeit.« Sie legte sich neben ihn und zog die Decken hoch. Ihr Körper war ganz kalt von der Luft. Sie schob den Arm über seine Brust und streichelte ihm die Wange. »Darf ich?« fragte sie.
»Aber natürlich«, sagte er.
»Du gewöhnst dich am besten daran«, sagte sie. »Denn ich gedenke, recht oft hier zu schlafen.«
12
Billins Stimme klang in dem verräucherten Raum gedämpft, obwohl er laut sprach. Dilna seufzte, als sie wieder dieselben Worte hörte: »Diese verdammte Chronik ist unser Feind! Jedes Mal, wenn über etwas abgestimmt werden soll, zieht Noyock die Chronik heraus und sagt ›Jason hätte es anders gemacht! Kapock hätte, es anders gemacht.‹ Ich aber sage, wen zum Teufel interessiert es, wie sie es gemacht hätten?«
Dilna schnitzte so wütend an dem Stück Holz, das sie auf dem Schoß hielt, als sei es Billins Kopf. Diese abendlichen Treffen in der Schenke fand sie dumm. In Stipocks Bucht waren sich schon alle einig – sie mußten sich von Himmelsstadt trennen. Die Gesetze hatten nichts mehr mit der Wirklichkeit zu tun – hier war alles anders. Aber Billins Wutausbrüche, mit denen er nur die anderen ansteckte, halfen wenig.
Auch Stipock beobachtete Billin scharf, wie sie bemerkte. Aber er analysierte wohl eher, als daß er zuhörte. Sicherlich war Stipock von Billins Rede nicht sonderlich beeindruckt! Dennoch war sich Dilna nicht ganz sicher, ob Billin nicht genau das tat, was Stipock wollte.
»Die Chronik ist nur Papier! Nichts als Papier! Sie kann brennen! Und wenn sie uns daran hindert, hier unsere eigenen Gesetze zu machen, dann sage ich, verbrennt sie!«
Wie schlau, dachte Dilna. Es geht darum, wie Stipock schon immer gesagt hat, unsere Unabhängigkeit zu erlangen, ohne unsere gegenseitigen Beziehungen aufzugeben. Wenn die auf der anderen Seite des Flusses uns erst hassen, woher bekommen wir dann unser Kupfer, unser Zinn, unser Messing? Papier? Tinte? Mehl? Keiner der winzigen Bäche auf dieser Seite des Flusses konnte eine Mühle antreiben. Aber wenn es nach Billin ginge, würden wir sofort nach drüben eilen, die Chronik verbrennen und die anderen in aller Liebenswürdigkeit dazu überreden, uns unsere Unabhängigkeit zu lassen und trotzdem Handel mit uns zu treiben.
Neben ihr schrammte ein Stuhl über den Fußboden, und sie sah, daß Stipock sich neben sie gesetzt hatte.
»Der alternde Philosoph will mit mir plaudern?« fragte sie.
»Alter«, sagte Stipock. »Es ist nicht das Alter, es sind die Sorgen.«
Billin hob die Stimme. »Spielt das Ergebnis der Abstimmung überhaupt eine Rolle? Solange wir die Boote haben, können wir selbst bestimmen, welche Gesetze auf dieser Seite des Flusses gelten sollen!« Aus der Zuhörerschaft stieg bierseliger Beifall auf.
»Der Mann ist ein Esel«, sagte Dilna. »Selbst wenn du als erster gesagt hast, daß auf dieser Seite des Flusses der die Gesetze machen kann, dem die Boote gehören.«
»Billin regt sich zu sehr auf«, sagte Stipock.
»Wie der große Stipock immer gesagt hat«, schrie Billin, »ein Mann, der eine Regierung ablehnt, wird von ihr schon nicht mehr regiert!«
»Hat das der große Stipock gesagt?« fragte Dilna lächelnd.
»Mir wäre verdammt lieb, wenn mich niemand zitierte.« Er betrachtete das Stück Holz, das sie bearbeitete. »Was schnitzt du?«
»Einen Stockknauf für einen reichen alten Knacker aus Wienweg. Er ist sogar einer von Wiens Söhnen und denkt, daß man für Bronze alles kaufen kann.«
»Kann man das denn nicht?« fragte Stipock. Sie lachte. »Fast alles.«
Stipock schwieg und sah sich im Raum um. »Ist Hoom noch nicht zurück?«
»Du weißt ja, wie es ist – wenn man erst einmal bei Verwandten hockt …«
»Hoom und sein Vater heute abend unter einem Dach. Was meinst du, wird das Haus abbrennen?«
»Könnte leicht passieren«, sagte Dilna, aber sie lachte nicht.
»Und Wix ist mit ihm gegangen?«
»Ich nehme an«, sagte sie und spürte plötzlich, daß Stipocks kräftige Finger die
Weitere Kostenlose Bücher