Heißer Schlaf
zurück – langweilig. Wix und Hoom planten, der Strömung flußabwärts zu folgen, um zu sehen, wohin der Fluß führte. Gleich nach der Abstimmung sollte das geschehen. Nun, das wäre morgen, dachte Dilna, und ich werde schon fünf Minuten nach der Abstimmung gepackt haben.
Warum war sie nur so begierig darauf, hier wegzukommen? Sie dachte an jenen Tag vor einer Woche im westlichen Wald und glitt halb das Dach hinab (zur Hölle mit den Splittern, ich rutsche wenn ich Lust habe) und schnitzte eine Weile wie besessen.
Sie war auf dem Dach eingeschlafen, als Hoom die Leiter fand und hinaufstieg. Sie war erstaunt, daß es fast Abend war.
»Bist du lebensmüde?« fragte Hoom besorgt.
»Ja«, antwortete sie und merkte dann, daß Hoom ernsthaft besorgt war. »Nein, Hoom, ich kann gar nicht vom Dach fallen.«
»Das kannst du doch«, sagte Hoom und half ihr, die Sachen die Leiter hinunterzutragen.
»Sind die Besucher alle weg?«
Hoom nickte. »Aber sie sind nicht alle glücklich über den Kompromiß.«
»Warum nicht?«
»Billin sagt, er kann keinen Aufseher über sich dul den. Ich weiß allerdings nicht, warum er Noyock so haßt.«
»Er ist ein Narr«, sagte Dilna. »Wenn Jason nächsten Monat kommt, wird Noyock ohnehin abgelöst. Wer weiß? Vielleicht wird Stipock Aufseher – bei dem Gedanken möchte ich am liebsten auf die ganze Abstimmung verzichten.«
Hoom lachte. »Stipock Aufseher? Wie er Jason gegenüber eingestellt ist? Ich kann es dir ruhig sagen – es gibt sogar Gerede, daß man sich von Jason trennen sollte. Jedenfalls will Billin das.«
Dilna schwieg eine Weile. Sich von Jason trennen? Nun, natürlich hielt ihn niemand mehr für einen Gott, wenigstens nicht in Stipocks Dorf auf dieser Seite des Flusses. Aber sich von ihm trennen?
Das beunruhigte sie. Sie war begierig darauf, gewisse Verbindungen zu lösen – aber alle Verbindungen? Das war ja wie Hooms Streit mit seinem Vater: irgendwie falsch. Eine Wunde, die geheilt, nicht aufgerissen werden sollte. Und würde Jason sich das gefallen lassen? Er hatte Werkzeuge – wie den kleinen Kasten, den er in der Hand hielt, als er den wildgewordenen Ochsen tötete. Würde er den auch gegen einen Menschen richten? Der Gedanke ließ sie schaudern. Natürlich nicht. Aber sie würden sich niemals von Jason trennen – das war nur Billins Gerede. Hoom und Dilna verbrachten den Abend gemeinsam mit Weben und Nähen und gingen dann ins Bett.
Am Morgen empfand sie die vertraute Übelkeit und mußte sich vor dem Frühstück übergeben.
»Nun?« fragte Hoom, als sie vom Abtritt kam.
»Verdammt«, sagte sie. »Warum gerade jetzt?«
»Man kann sich die Zeit nicht aussuchen«, sagte er lachend. »Dieses werden wir bekommen«, sagte er. Er nahm sie in die Arme. Sie lächelte ihn an, aber das Lächeln wollte nichts besagen. Sie wußte, wann ihre letzten fruchtbaren Tage gewesen waren – Stipock sollte verdammt dafür sein, daß er ihnen von dem Zyklus innerhalb des Zyklus überhaupt erzählt hatte – und es war durchaus möglich, daß Wix der Vater war. Und er und Hoom sahen so verschieden aus.
Nur nicht unnötig aufregen, sagte sie sich. Bis dahin sind es noch Monate, und, der Himmel weiß, die Chancen stehen gut, daß es wie Hoom aussieht.
Wie immer mißverstand Hoom ihre Besorgnis völlig. »Zwei Fehlgeburten sind nicht so schlimm«, tröstete er sie. »Viele Frauen haben zwei, und nach der dritten Schwangerschaft kommt dann das Baby. Was wünschst du dir denn, einen Jungen oder ein Mädchen?«
»Ja«, sagte sie und wiederholte damit den alten Witz aus ihrer letzten Schwangerschaft, und dann sagte sie ihm, daß sie sich dazu imstande fühle, nach Erstfeld zu gehen.
»Bist du sicher?«
»Wenn ich mich erst übergeben habe, fühle ich mich besser. Und ich will verdammt nicht die Abstimmung versäumen.«
Sie gingen also zum Flußufer hinunter und bestiegen Hooms kleines Boot. Diesmal übernahm Dilna das Ru der, was weniger anstrengend war, während sich Hoom um das Segel kümmerte. Der Wind aus Westen und die Strömung von Osten her machten die Überfahrt schwierig – jeder Windstoß machte rasche Anpassung erforderlich, damit das Boot in der Strömung nicht vom Kurs abkam. Aber sie erreichten Linkerees Bucht, wo schon viele andere Boote angelegt hatten, und immer noch mehr kamen über das Wasser. Die Leute aus Stipocks Bucht gingen gemeinsam nach Erstfeld, und ihre Freunde und Sympathisanten – meist junge – aus Himmelsstadt schlossen sich ihnen an. Sie
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