Heißer Schlaf
werde dir helfen.«
»Nein!« zischte Hoom durch die zusammengebissenen Zähne. »Er soll mich nicht anfassen.«
Hoom sah nicht, daß Aven sich abwandte, und daß Esten ihm tröstend den Arm um die Schulter legte. Er sah immer noch das haßerfüllte Gesicht seines Vaters vor sich.
»Dann hilf du mir, Noyock. Ist das recht, Hoom?«
Hoom nickte oder versuchte es wenigstens. Anscheinend hatte Stipock seine Zustimmung verstanden, denn er gab schon Anweisungen. »Du mußt ihn unter den Achseln festhalten. Und versuch nicht, ihm Schmerzen zu ersparen. Rücksicht nützt ihm jetzt nichts.«
»Was passiert mit mir? Was wollt ihr tun?«
»Du mußt jetzt Vertrauen zu mir haben«, sagte Stipock. »Es wird höllisch wehtun, aber es ist die einzige Methode, es so zurechtzubekommen, daß du später wieder gehen kannst.«
Eine Hand griff Hoom an den Knöchel, daß er laut stöhnte, und die andere packte ihn eben unter dem Bruch, hoch an seinem Schienbein. Er schrie vor Schmerz.
»Tut ihm nicht weh –«, fing seine Mutter an, und dann war Stille. »Jetzt zieh mit aller Kraft, Noyock«, sagte Stipock, und Hoom hatte das Gefühl, auseinandergerissen zu werden. Die Schmerzen wurden fast unerträglich, und plötzlich empfand Hoom die Schmerzen nicht mehr, obwohl er wußte, daß sie ihn fast verrückt machten. Er schwebte über den Schmerzen und spürte ohne jede Regung die Bewegungen seines Körpers, als Stipock die gebrochenen Enden wieder richtete. Mit einem fürchterlichen Knacken kamen die Knochen wieder zusammen (ich spüre es nicht; das bin gar nicht ich). Stipock drückte die Kniescheibe an die richtige Stelle und fügte die Bruchstellen gewaltsam ineinander. Das schon an die Schmer zen des Bruches gewöhnte Bein empfand nun die schlimmere Qual der wieder zusammengefügten Knochen.
»War es das?« hörte Hoom Noyock aus weiter Ferne sagen.
»Wir brauchen Holz und Tuchstreifen«, sagte Stipock. »Keine Zweige oder Äste und auch kein grünes Holz, sondern gerades.«
»Ich hole es«, sagte Aven. »Und ich hole das Tuch«, sagte Esten, Hooms Mutter. Und dann endlich versank Hoom wieder in einem Meer von Schmerzen, schwebte bis auf den Grund und schlief ein.
Er wachte wieder auf, und es war dunkel. Eine Talglampe flackerte neben seinem Bett. Er hatte Kopfschmerzen, und in seinem gebrochenen Bein pochte es, aber die Schmerzen waren viel besser, viel leichter zu ertragen, und er konnte die Augen offen behalten.
Der Raum nahm Gestalt an, und er sah Stipock am Bett sitzen. »Hallo«, sagte er, und Stipock lächelte.
»Wie fühlst du dich?« fragte er leise.
»Die Schmerzen sind nicht mehr so schlimm.«
»Gut. Wir haben getan, was wir konnten. Nun muß dein Bein selbst heilen.« Hoom lächelte müde.
Stipock drehte sich um – zur Tür, wie Hoom glaubte – und sagte: »Er ist jetzt wach. Du kannst die anderen rufen.« Dann wandte er sich wieder Hoom zu und sagte: »Ich weiß, daß du dich nicht gut fühlst, aber ein paar Entscheidungen müssen getroffen werden, die nur du treffen kannst.«
Schritte waren zu hören, und einer nach dem anderen erschienen sie in Hooms Gesichtskreis. Erst Noyock, der sehr ernst aussah. Dann Esten mit vom Weinen geröteten Augen. Und dann Aven.
Als er seinen Vater sah, richtete Hoom den Blick zur Decke.
»Hoom«, sagte Noyock.
»Ja«, antwortete Hoom, und seine Stimme klang leise und rauh.
»Stipock will für dich sorgen«, sagte Noyock. »Wenn du einverstanden bist, will er dich aus dem Haus deines Vaters fortnehmen und dich pflegen, bis du wieder gehen kannst.«
Hoom versuchte, sich zu beherrschen, aber die Tränen liefen ihm aus den Augenwinkeln.
»Aber, Hoom, auch dein Vater will dich pflegen.«
»Nein«, sagte Hoom.
»Dein Vater will dir etwas sagen.«
»Nein.«
»Bitte«, sagte Aven. »Bitte, hör mir zu, Sohn.«
»Ich bin nicht dein Sohn«, sagte Hoom leise. »Du hast es mir selbst gesagt.«
»Das tut mir leid. Du weißt doch, wie es war. Ich war verrückt vor Wut.«
»Ich will mit Stipock gehen«, sagte Hoom.
Für eine Weile herrschte Schweigen, und dann äußerte Aven seine bitteren Gefühle gegen Stipock, der gekommen sei, den Eltern ihre Kinder zu stehlen. »Ich werde dir den Jungen nicht lassen!« sagte Aven und hätte vielleicht noch mehr gesagt, wenn Noyock nicht wütend dazwischengefahren wäre.
»Du wirst, Aven!«
»Vater!« rief Aven gequält.
»Das Gesetz sagt, wenn ein Vater sein Kind verletzt hat, muß das Kind zu seinem eigenen Schutz von einer anderen
Weitere Kostenlose Bücher