Heißer Trip ins Glueck
entdeckte er Clair in ihrem Hochzeitsstaat. Verwundert den Kopf schüttelnd, ging er an ihnen vorbei und drehte sich noch zwei Mal nach ihnen um. Clair schien von all dem nicht die geringste Notiz zu nehmen.
„Clair”, sprach Jacob sie an. Keine Reaktion. Er musste seine Anrede noch zwei Mal wiederholen, bevor sie ihm langsam den Kopf zuwandte und ihn mit ihren blauen Augen groß ansah.
„Können Sie mir freundlicherweise erklären, was hier vor sich geht?”
Clair zögerte einen Augenblick. Dann schluckte sie und drehte den Kopf wieder weg. „Ich bin gerade dabei, vor meiner Hochzeit, meinem Bräutigam, etwa zweihundert Gästen und meinen Eltern davonzulaufen.”
Darauf wäre er zur Not selbst gekommen. „Und warum?”
„Wegen meines Bräutigams”, antwortete sie mit etwas unsicherer Stimme. „Ich liebe ihn nicht.”
Jacob lehnte sich an die Fahrertür, streckte die Beine aus und musterte seine Mitfahrerin.
Sein erster Eindruck von ihr war offenbar richtig gewesen. Sie war anders als die anderen ihres Standes. „Und das merken Sie jetzt erst?” fragte er.
Clair warf einen Blick auf den Brillantring an ihrer Hand. „Ich kenne Oliver fast schon mein ganzes Leben. Unsere Familien sind eng befreundet, fahren gemeinsam in den Urlaub, feiern gemeinsam Geburtstage und Weihnachten. Meine Eltern waren begeistert, als er um meine Hand anhielt. Es ist mir überhaupt nicht in den Sinn gekommen, Nein zu sagen.”
„Bis heute.”
„Bis heute. Mein Leben scheint sowieso eine einzige Lüge zu sein.” Sie zog den Ring vom Finger und legte ihn auf ihre Hand fläche. „Meine Eltern haben mich belogen. Ich habe Oliver belo gen. Und natürlich auch mich selbst. Wahrscheinlich haben wir alle Angst vor der Wahrheit. Als ich die Kirche verließ, wusste ich nur: Jetzt oder nie.” Ihre Hand schloss sich um den Ring. „Das werden sie mir alle niemals verzeihen.”
Für eine Sekunde kam Jacob der Gedanke, ihr von den nächt lichen Abenteuern ihres sauberen Bräutigams wenige Stunden vor der Hochzeit, der geplatzten Hochzeit, zu erzählen.
Aber er fürchtete, damit ihrem Schmerz noch weiteren hinzuzufügen. Außerdem war es gar nicht sein Job, sich um ihr Seelenheil zu sorgen, sondern lediglich, sie ausfindig zu machen und sie nach Möglichkeit mit ihren Brüdern zusammenzuführen.
„Meine Eltern haben übrigens Ihre Angaben in allen Punkten bestätigt.” Clair brachte ein weißes Spitzentaschentuch zum Vorschein, wickelte den Ring hinein und verstaute ihn in einer kleinen Tasche an ihrem Gürtel. „Nur in einem Punkt stimmen sie nicht mit Ihnen überein: dass meine Brüder noch am Leben sein sollen. Mein Vater sagte mir, er habe mit eigenen Augen ihre Sterbeurkunden gesehen.”
„Kann sein”, entgegnete Jacob, „aber die sind genauso getürkt, wie es Ihre eigene Sterbeurkunde ist.”
Clair erschauderte. „Meine Sterbeurkunde?”
Jacob nickte.
„Verstehe. Nein, eigentlich verstehe ich gar nichts. Drei Kinder werden für tot erklärt, obwohl sie noch leben; sie werden in alle Himmelsrichtungen verschachert oder adoptiert wie auch immer -, und keiner merkt etwas?”
„Der Notar in Wolf River wird Ihnen das alles erklären.” Jacob blickte suchend nach seinem Handy. „Sie können mit Ihren Brüdern sofort sprechen, ich habe hier irgendwo mein Handy …”
„Nein, nicht!”
„Nicht?”
„Nicht am Telefon.”
„Na schön. Ganz wie Sie wollen. Dann fahre ich Sie jetzt nach Hause, damit Sie ein paar Sachen einpacken können. Wenn Sie wollen, fahre ich Sie auch zum Flughafen, und Sie nehmen eine Maschine nach Dallas. Ich arrangiere es für Sie, dass jemand Sie dort abholt.
Von Dallas sind es nur drei Autostunden nach Wolf River.”
Clair schüttelte energisch den Kopf. „Nein, Mr. Carver. Nach Hause möchte ich jetzt bestimmt nicht fahren. Und ich habe auch keine Lust, mich in ein Flugzeug zu setzen.” Sie war von diesem plötzlichen Entschluss selbst am meisten überrascht, ebenso von der Entschiedenheit, mit der die Sache für sie feststand.
Jacob fluchte innerlich. Nun würde sie also doch nicht nach Wolf River fahren. Er musterte Clair so eingehend von Kopf bis Fuß, dass ihr unter seinem durchdringenden Blick noch heißer wurde, als es ihr ohnehin schon war.
„Also erstens: Sie können ruhig Jacob zu mir sagen. Zweitens haben Sie vielleicht vergessen, dass Sie noch immer in Ihrem Hochzeitskleid stecken.”
„Das habe ich bestimmt nicht vergessen. Das kann ich gar nicht vergessen.”
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