Heißes Blut: Anthologie (German Edition)
die widerlichen Würmer, die Clarice’ Gedanken angefressen hatten. Trotz ihrer Ichbezogenheit war einem Teil der Maja bewusst gewesen, dass sie verrückt war. Grace konnte sich noch gut an ihre geistigen Entsetzensschreie erinnern. »Vorausgesetzt, dass ich dann nicht zu einer noch größeren Gefahr werde, als dieser Mörder es ist.«
»Darüber brauchst du dir keine Sorgen zu machen«, sagte Morgana. »Dazu würde Lance es nicht kommen lassen.«
»Ach, und was für ein beruhigender Gedanke das doch ist!« Grace verzog das Gesicht bei der Erinnerung an das grausige Knacken, mit dem Lance’ große Hände Clarice das Genick gebrochen hatten. Das heulende … Etwas war ihm dankbar dafür gewesen.
Aber Grace konnte nicht tatenlos zusehen, wie der Killer das Mädchen umbrachte; das würde sie genauso wahnsinnig machen wie die Gabe. »Wäre es möglich, Lance so früh am Tag zu wecken?«, fragte sie Morgana stirnrunzelnd.
»Daran habe ich noch nicht gedacht.« Auch Morganas Brauen zogen sich zusammen, und sie knabberte an einem langen Fingernagel. »Er wird sich jetzt mitten im Tagesschlaf befinden. Aber da wir hier in Avalon sind, könntest du ihn vielleicht eine Stunde oder so vor der Abenddämmerung in Kalifornien wecken, doch ganz gewiss nicht früher.«
»So lange kann ich nicht warten.« Grace straffte die vor Anspannung schmerzenden Schultern. »Versetz mich zurück zu mir nach Hause! Ich will verdammt sein, wenn ich hier herumsitze, während dieses Mädchen leidet.«
Mit einem Druck hinter den Augen, der sich zu einer regelrechten Migräne auswuchs, fuhr Grace im Streifenwagen durch Tayanita County und versuchte immer noch vergeblich, den Unterschlupf des Killers aufzuspüren. Sie hatte schon den ganzen Morgen und halben Nachmittag nach ihm gesucht, bevor sie um drei ihren Dienst angetreten hatte, und ihren Privatwagen benutzt, um so viele Ortsteile wie nur möglich zu durchkämmen.
Über Funk konnte sie den Sheriff hören, der die anderen Suchenden von seinem Kommandoposten aus dirigierte. Als der Irre Deborah Keller mitten auf der Straße ergriffen und entführt hatte, hatte ein halbes Dutzend Leute die Tat beobachtet. Leider hatte sich keiner von ihnen sein Autokennzeichen gemerkt, und die von ihnen gelieferten Beschreibungen könnten auf tausend Männer zutreffen.
Grace hatte den Mund gehalten. Ihre Kollegen hätten sie in eine Gummizelle gesperrt, wenn sie versucht hätte, ihre Visionen zu beschreiben, und außerdem hatte sie ohnehin nichts Brauchbares mitzuteilen. Das Gesicht des Mörders hatte sie nie gesehen, weil sie durch seine Augen und nicht die seines Opfers geblickt hatte. Grace kannte nicht mal den Namen des Kerls. Das Einzige, dessen sie sich sicher war, war, dass er auf demselben Planeten wie alle anderen nichts zu suchen hatte.
Und sollte sie ihn finden, war damit auch Schluss. Grace war fest entschlossen, ihm eine Kugel in den Kopf zu jagen, auch wenn es bedeutete, selbst dafür in Haft zu gehen. Sie konnte nicht riskieren, dass er durch irgendein legales Manöver freikam oder von einer leichtgläubigen Jury für nicht schuldig befunden wurde. Nein, nein, sie hatte zu viele Stunden mit seinen kranken Fantasien verbracht, seinem widerlichen Drang, Deborah sich winden und leiden zu sehen, nur weil ihn ihre Qual erregte.
Bedauerlicherweise hatte dieser kranke Hurensohn nicht ein einziges Mal an seinen eigenen Namen oder seine Adresse gedacht. Und deshalb schaffte Grace es auch einfach nicht, so sehr sie auch ihren Geist bemühte, mittels telepathischer Verbindung seinen Aufenthaltsort aufzuspüren. Sie war durch jede Seitenstraße in Tayanita County gefahren, doch das Signal, das sie von ihm empfing, wurde nirgendwo stärker oder schwächer.
Und mit jeder Sekunde, die verstrich, rückte die Dunkelheit näher – und der Moment, in dem dieser Irre Deborah vergewaltigen und sie dann mit dem Bowiemesser, mit dem er den ganzen Tag seinen Spott mit ihr getrieben hatte, niedermetzeln würde.
Grace wollte verdammt sein, wenn sie das geschehen ließ.
Als die Sonne immer mehr in Richtung Horizont versank, wusste sie, dass ihr nur noch eine Chance blieb. Bei der nächsten Gelegenheit wendete sie den Wagen und fuhr nach Hause. Dort würde sie auf den Steingenerator klettern und Lance’ Namen sagen, um auf direktem Weg zu ihm versetzt zu werden – und die Gabe anzunehmen, die sie nie gewollt hatte.
Sie nahm den Handapparat ihres Funkgeräts auf und sagte: »Tayanita, Bravo zehn. Es ist zwölf
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