Heißes Eis
im Takt. Wir drängen uns an ihnen vorbei und plötzlich kann ich auch Ben nicht mehr sehen. Ich schaue nach allen Seiten zwischen den Köpfen hindurch, aber er ist verschwunden.
Auch das noch!
Ich schiebe mich weiter zwischen die Massen, während ich die Köpfe nach Ben abscanne. Ich bleibe an einem Gesicht haften, das sogleich wieder in der Menge verschwindet. War das nicht eben Tom? Nein, unmöglich! Jetzt fange ich schon an zu halluzinieren! Plötzlich schiebt sich eine warme Hand in meine und ich fahre erschrocken herum.
«Da bist du ja, Sanne!»
Bens leuchtende Augen strahlen mich an und meine Knie drohen nachzugeben. Ein warmer Schauer durchflutet meinen Körper. Und ich blicke beschämt auf unsere Hände hinab, die so wohlig ineinander liegen.
«Wir sollten uns festhalten, um uns nicht zu verlieren!», sagt Ben wie entschuldigend dafür, dass er meine Hand hält.
Da sackt die Doppeldeutigkeit seiner Worte in mich ein.
Er will mich festhalten - nicht verlieren!
Ob dieser tiefere Sinn seiner Worte von ihm beabsichtigt war? Ich frage mich außerdem, ob ich sie jemals wieder loslassen kann, diese Hand, die bei der bloßen Berührung ein Kribbeln über meinen ganzen Körper jagt. Ich fühle mich wie berauscht von der Musik, seiner Gegenwart und der Nachwirkung der Bilder, die mir bei der Erzählung von Emmas Traum vor meinem geistigen Auge aufflackerten.
«Komm, wir gehen weiter!», sagt Ben nach einer Weile und zieht mich durch die Menschenansammlung hindurch. Ich halte seine Hand fest umklammert, als würde ich darin den Halt suchen, den mir meine aufwallenden Emotionen rauben. Die Straße lichtet sich langsam wieder und eigentlich gäbe es nun keinen Grund mehr für Ben, weiter meine Hand zu halten, doch satt sie loszulassen, hält er sie um so fester, als fürchtete er, ich würde ihm meine Hand entziehen wollen. Aber dazu fühlt er sich einfach viel zu gut an.
Was ist mit Tom? Du liebst ihn doch Sanne! , meldet sich plötzlich mein Unterbewusstsein.
Nicht jetzt!
Ich will jetzt nicht an Tom denken, ich will nur noch diesen einen Tag mit Ben genießen. Vielleicht kommt Tom ja auch morgen schon wieder und dann ist alles wie früher.
Du belügst dich selbst, Sanne!, meldet sich wieder meine innere Stimme, nichts wird mehr sein wie früher, du willst Ben viel mehr, als du Tom jemals wolltest.
Sei still!, weise ich mich selbst zurecht.
«Hast du Hunger?»
Ben reißt mich aus meinen inneren Kämpfen, so dass ich noch zu benebelt bin, um ihn zu verstehen.
«Was hast du gesagt?»
«Möchtest du etwas essen?»
Das Gefühlschaos in meinem Inneren schließt Nahrungsaufnahme im Augenblick vollkommen aus, aber um nicht irgendwann wegen Unterzuckerung umzukippen, sollte ich doch etwas essbares zu mir nehmen.
«Eine Kleinigkeit vielleicht!»
Wir suchen uns eines der vielen Straßencafés aus, aber zu meiner großen Enttäuschung lässt Ben meine Hand los, als wir uns setzten. Wir bestellen beide ein Sandwich – ich mit Fisch und Ben mit Huhn. Es hätte auch umgekehrt sein können, denn ich mag Huhn genauso. Und ich glaube, mich zu erinnern, dass Ben auch schon mal von Fisch geschwärmt hat.
«Willst du mir nicht erzählen, was Emma geträumt hat?», fragt Ben mit einem neugierigen Grinsen.
Sicher nicht!
«Das ist reine Frauensache!», rede ich mich heraus. «Und du glaubst doch wohl nicht an Emmas Träume!»
Ben zuckt mit den Schultern.
«Wer weiß das schon?»
«Gestern hast du noch ganz anders über sie geredet!»
«Da hat sie sich ja auch noch penetrant an mich herangemacht. Aber offensichtlich gab es ja wirklich jemanden, der mir ähnlich sieht und bei dem es dann auch sofort gefunkt hat! Wenn das ein Zufall ist, dann ein ziemlich außergewöhnlicher, findest du nicht?»
«Ich glaube eher, das ist so etwas wie die berühmte sich selbst erfüllende Prophezeiung!», gebe ich zweifelnd zurück.
«Du meinst, wenn man sich etwas immer wieder ganz fest vorstellt, lenkt einen das Unterbewusstsein automatisch so, dass es auch eintrifft?»
«Ja, genau!»
Ben sieht mir so tief in die Augen, dass mir schwindelig wird. Welche Gedanken sich wohl gerade dahinter abspielen?
«Was denkst du?», frage ich und gleichzeitig keimt in mir eine unbestimmte Angst, die Antwort darauf zu hören.
Nach einer unerträglichen Schweigeminute lehnt sich Ben zurück.
«Briefbeschwerer!»
Ich seufze, zur Hälfte vor Enttäuschung zur anderen vor Erleichterung.
«Das ist jetzt zu unserem Insider geworden, was?»,
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