Heiter. Weiter.
steht nichts im Wege. Ich bin „im Süden“ angekommen: Hier herrscht mediterranes Flair, wachsen Reben an Häusern, in Gärten gedeihen Aprikosen und Pfirsiche.
Müde, aber glücklich und satt verkrieche ich mich in den Schlafsack. Wie gut es mir doch geht! Ich denke an die Pilger von früher, oben auf der Hochebene von Aubrac. Welche Ängste sie hatten vor finsteren Gestalten in noch finstereren Wäldern. Und vor den Wölfen, rudelweise. Sie wehrten sich mit ihren Wanderstäben.
Gegen den Wolf, der die Wanderer und Pilger unserer Tage bedroht, hilft Penatencreme.
Da blieb meine Kleidung auch bei Regengüssen schön trocken
Bei meiner ersten Wanderung marschierte ich die Straße entlang. Es herrscht hier wenig Verkehr und ein Fußgänger kann gefahrlos seinen Fuß vor den anderen setzen. So kommt er rascher voran, denn der markierte Weg ist abschweifend. Dieses Mal wollte ich jedoch den offiziellen Pfad benutzen. Ich war guter Dinge, als ich das überaus ansehnliche Saint-Côme-d’Olt verließ. Ich ahnte noch nicht, welchen kräftezehrenden Weg man da dem Pilger ausgesucht hat. Kaum denkbar, dass ein Pilger in historischen Zeiten diese Strecke ausgewählt hätte, er wäre mit Sicherheit auf dem Boden geblieben und dem Fluss Lot gefolgt. Ich aber muss hoch hinaus, auf steilem, schmalem Stieg. Weiter, immer weiter führt mich die Markierung durch ein verwunschenes Wäldchen, hoch und höher. Wer hier alleine unterwegs ist und sich verletzt, kann lange warten, bis Hilfe kommt. Vereinzelt waren Bauernhäuser zu sehen, sie schienen aber nicht alle bewohnt zu sein. Natur, Landschaft und Ausblick sind atemberaubend. Auch der Anstieg nimmt mir die Luft.
Die Église de Perse hat mich schließlich für den harten Anmarsch belohnt. Ich hätte sie auch erreicht, wäre ich auf der Straße geblieben. Prächtig der Tympanon mit all den Fratzen der Hölle, den Drei Königen und Jesus als Weltenrichter. Die Kirche hier ist ein Ort der Ruhe und Stille, ein Ort zum Sammeln und Nachdenken.
Vor vier Jahren musste in Espalion das große Pétanque-Turnier ausfallen, der Lot war regenbedingt über das Uferbett gestiegen und hatte sich des Geländes bemächtigt. Tribüne und Spielfläche - alles im Lot. Diesmal erstehe ich bei Sonnenschein ein Souvenir: Ein Messer mit Korkenzieher mit Seele aus dem nahen Laguiole.
Vor vier Jahren überraschte mich in Verrières ein kleines Café mit seiner Existenz. Die Wirtin war nett, Nachbarn die Gäste. Da möchte ich unbedingt wieder hin, hatte der Frau zu Weihnachten geschrieben. Am verschlossenen Eingang der Hinweis „ab 1.1 .2008 geschlossen“. Für immer.
In Estaing ist heute Markt für regionale Produkte. Hier wird gekocht. Und gekostet. „Chou farci“, der gefüllte Kohl, ist eine Wirsingroulade, „Saucisse d’Autruche“, Wurst vom Strauß und Bällchen von Forellen. Alles sehr köstlich. Und Aligot. Kartoffel werden mit Milch, Käse, Sahne und Knoblauch zu Püree verarbeitet. Dazu schmeckt der beachtliche Wein von den Hängen um Estaing.
Vor vier Jahren musste ich im Regen wandern. Ich war knapp in der Zeit und wollte mir den Luxus des Unterstellens nicht leisten. Mir macht der Regen nichts aus, aber meine mühsam getrocknete Kleidung wäre wieder nass geworden. Was tun? Ich zog mich aus! Nur mit Schuhen, Socken und Badehose bekleidet, wanderte ich weiter durch den Wald. Leider hatte ich die Badekappe zu Hause gelassen.
Jedes Aufbrechen, jedes Ankommen, ist ein Anfang und ein Ziel
Der Campingplatz von Estaing befindet sich drei Kilometer außerhalb. Das bedeutet drei Kilometer Fußmarsch. Zeltaufbau, duschen, waschen. Drei Kilometer zurück in die Stadt. Einkaufen. Erneut drei Kilometer retour zum Zelt. Und heute wieder drei Kilometer nach Estaing, um von dort die Wanderung fortzuführen. So kommen locker zwölf Extrakilometer hinzu. Verlaufen! Ein Blick auf die Karte beruhigt, es ist kein großer Umweg, aber Warnung. Jetzt geht es aufwärts. Der Asphalt ist Erholung für steinpfadgeschundene Füße. Kaum Autoverkehr. Dann der Abstieg durch üppige Vegetation. Im Farn flattern Falter, am Himmel schwingen mächtige Flügel, eine zebragestreifte Feder segelt zu Boden. Ich bin froh, diesen Umweg eingeschlagen zu haben.
„Der Weg ist das Ziel“ - wie oft wird diese These bemüht. Daraus folgt, der Weg ist wichtiger als das Ziel. Mehr noch: Das Ziel ist nicht wichtig. Stimmt das? Wir wollen nach Santiago, zum Jakobus. Ohne dieses Ziel hätten wir uns nicht auf den Weg
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