Heiter. Weiter.
regionalen Wein, wieder vor dem Zelt gemütlich.
Wer einen Wanderweg findet, der findet auch einen Ausweg
Den Muschelkochtopf habe ich zurückgegeben. Selbstverständlich. Entlastet verlasse ich Conques. Anstrengend geht es nach oben, steil um Steinbrocken herum. An einem Regentag möchte ich hier nicht kraxeln. Hinweis: 1319 Kilometer bis Santiago. Der Pfad führt aus dem Wald in eine sanfte Weidelandschaft, gemustert mit hellem Gestein, lila Erika und dunkelgrünem Farn. Beim Gehen geht das Denken besser. Manche gehen im Zimmer auf und ab, manche auf dem Flur. Ich gehe lieber durch die Flur.
Ich wähle die Variante über Noailhac. Die verläuft auf geteerter Straße, das Verkehrsaufkommen ist nahezu null. Wer über meine Wanderei auf Asphalt die Nase rümpft, sollte wissen, dass es manchmal nicht so schlimm ist, wenn man auf der Straße landet — beim Wandern. Die Markierung, ein weiß-roter Strich, zeigt sich selten, doch die Richtung ist eindeutig. Mancher wäre sicher erleichtert, könnte er öfter die Zeichen erkennen, die ihm zeigen, dass die von ihm eingeschlagene Richtung die richtige ist. Decazeville. Ich bin zufrieden mit dem Leben. Habe ich dafür Grund? Das Wandern hat mich froh gemacht, das Gehen und die Gedanken, die dabei entstehen. Bereits der Gedanke an das Gehen erfüllt mich mit Glück. Die Möglichkeit zu gehen, zu wandern, ist für mich wie ein Sparstrumpf, auf dem ich in seelischen Notzeiten immer zurückgreifen kann. Wer einen Wanderweg findet, der findet auch einen Ausweg. Willkommener kühler Wind begleitet mich nach Livinhac-le-Haut. Auf dem Campingplatz am Fluss haben sich auch Pilger eingefunden. Ich bin überrascht, dass so viele mit dem Zelt unterwegs sind. Auf dem Platz bietet ein Restaurant preiswerte Getränke und Speisen, aber ein Besuch im „Café de la Mairie“ in der Ortsmitte bei den liebenswürdigen Wirtsleuten ist für mich angenehme Pflicht.
Von antideutschen Gefühlen ist keine Spur. Mich machen jedoch Geschehnisse nachdenklich, an die zahlreiche Plaketten, Kreuze und Steine erinnern. Mein Französisch reicht nicht aus, den gesamten Text zu verstehen. Doch es sind Namen eingemeißelt, viele Namen, die Jahreszahl 1944 und „Gestapo“ oder „Wehrmacht“.
Jetzt könnte jemand sagen, das ist doch schon so lange her, mehr als sechzig Jahre. Doch der alte Mann, weit über siebzig, den ich im Burgund nach dem Wanderweg frage, kannte er die Gesichter zu den eingemeißelten Namen? Waren es sein Onkel, die Lehrerin, der Pfarrer? Die alte Frau, die ich oben im Aubrac an ihrem Häuschen um Wasser bat, die war bestimmt achtzig Jahre alt. Wann hat zum letzten Mal ein Deutscher an ihre Tür geklopft? 1944? Der eingemeißelte Name, war es der großer Bruder oder ihre erste zarte Liebe?
Irgendwo soll ich mir unauffällig ein freies Plätzchen suchen
In Livinhac-le-Haut habe ich noch einmal Wasser aufgefüllt und etwas Proviant für unterwegs eingekauft. Heute ziehe ich auf einem Stück des historischen Jakobusweg davon, die weite Aussicht genießend. Über die schöne Kapelle von Guirande hätte ich gerne mehr erfahren, doch der Wanderführer schweigt sich aus. Im Gegensatz zu meiner Tour 2004 hat in Saint-Félix das Gasthaus geöffnet. Es ist Mittagsessenzeit und im Speisesaal wird mächtig aufgetischt. Männer in Arbeitskleidung lassen es sich hier schmecken, was auf die gute Qualität der Küche hinweist. Da ich am Morgen genug Proviant eingekauft hatte, nehme ich nur ein Getränk zu mir.
Wer in Figeac auf dem Campingplatz zelten möchte, braucht nicht erst in die Stadt hinein, der Platz liegt östlich davon. Es ist eine großzügige Anlage mit Schwimmbad, Restaurant, Spielplatz und Bootverleih. An der Rezeption muss ich erfahren, dass der Platz wegen Überfüllung geschlossen ist. „Complet!“ Tatsächlich: Zelt steht an Zelt. Doch wo soll ich hin? Das frage ich auch die junge Dame an der Rezeption und schaue ihr tief in die Rehaugen. In einem Mischmasch aus französisch und englisch gibt sie mir zu verstehen, dass ich mir auf dem Platz irgendwo einen freien Platz suchen soll - unauffällig und gratis. Da freue ich mich aber. Später dürfen auch andere Pilger hinein - unauffällig und gratis. Und ich dachte, die Generosität der Rezeptionistin rühre von meiner überaus charmanten Art.
In Figeac wurde Jean-Francois Champollion geboren. Er entschlüsselte die ägyptischen Hieroglyphen. Inschriften im „Stein von Rosette“ halfen dem „Vater der Übersetzung“ beim
Weitere Kostenlose Bücher