Heiter. Weiter.
Bewusstseinsstärkung.
Auf dem Boulevard Gambetta im bodenständig freundlichen „Café de Paris“ erfrischt mich ein „Berger Blanc“, ein „weißer Schäferhund“, aus Anis. Anisgelbe Schmetterlinge umflattern mich dann auf meinem Rückweg zum Campingplatz. Dort wartet eine Überraschung auf mich: Vor dem kleinen Laden findet heute eine Weinprobe statt - auch das noch. Es wird tanninreicher Cahors verkostet, darunter der Jahrgang 2004, jenes Jahr, in dem ich zum ersten Mal hier auf dem Jakobsweg war. Mein Fuß schmerzt jetzt überhaupt nicht mehr.
Unser Hirnkasten muss aufgeräumt werden - wie eine große Schublade
„Jakobi heiß und trocken, da kann der Bauersmann frohlocken.“ Schwitzend gehe ich über das Wahrzeichen von Cahors, die Brücke Valentré. Die ist mit drei trutzigen Türmen bestückt, bereit, durch Schießscharten und Pechnasen alles abzuwehren, was in böser Absicht den Lot überqueren will - laut Hinweistafel seit 1308. Kaum zu glauben, dass das Bauwerk in seiner ursprünglicher Pracht erhalten geblieben ist. Es geht steil nach oben, es ist heiß und trocken. Zwei lachende Wanderer überholen mich auf dem beschwerlichen Anstieg wie Gämse. Am Weg nach Labastide-Marnhac überrascht mich eine Herberge mit ihrer Existenz. Die war 2004 nicht da! Ich habe den Eindruck, der Weg wurde umgelegt, um an diesem Haus vorbeizuführen. Bereits im Mittelalter war es üblich, den Pilgerstrom umzuleiten, um die Pilger ins Geschäft zu bekommen. Als ich den Garten der Gîte betrete, sind die Gämse schon am Aufbrechen. Die Herberge mit Pool lädt zum Rasten, lädt zum Übernachten. Hier gibt es Speisen und Getränke oder man deckt sich mit Proviant für unterwegs ein. Ich folge den Gämsen im Abstand.
Wenige Kilometer weiter findet eine Gartenparty statt. Die elegant gekleideten Feiernden haben keine Hemmung, mich Verstaubten zu Getränk und Häppchen zu bitten. Im Ort kann ein öffentlicher Wasserhahn angezapft werden, vor einem Haus steht eine Kaffeekanne neben der Spendendose. Irgendetwas gibt es immer, irgendetwas geht immer.
In Lascabanes ist die Tür der Herberge geöffnet: Selbstbedienung mit Zigarrenkästchen für die Bezahlung. Vertrauen. Ich kaufe eine Honigmelone. Im Garten sitzen fünf Pilger, auch die beiden Gämse. Sie kommen aus Lothringen. Einer spricht Deutsch, der andere Englisch. Nette Leute. Sie brechen auf, sie wollen nach Montcuq. Ich auch, ich folge im Abstand. Ich gehe gerne alleine. Eine längere Wanderung auf vertrauter Strecke oder schnurgeradem Weg, ohne Ablenkung durch Markierungssuche oder Kartenstudium, ist für mich eine Erleichterung, ja geradezu eine Befreiung für Hirn und Herz.
Die große Schublade, unten in der Kommode, die muss dringend aufgeräumt werden. Was sich da alles angesammelt hat! Das meiste kann weg: unbedeutender und unnützer Krempel. Schon verloren geglaubte „Schätze“ kommen dagegen wieder zum Vorschein. Es wird umsortiert, neu geordnet. Wichtiges liegt jetzt obenauf, erkennbar und greifbar. Fundsachen werden miteinander kombiniert. Sie ergeben so einen Sinn, vielleicht zum ersten Mal. Sie sind dadurch nutzbar geworden. Am Ende ist die Schublade aufgeräumt und bietet neuen Platz. So viel Ablagefläche, so viel Stauraum! Die Ordnung wird nicht lange halten. Die Schublade ist wie mein Hirn. Die nächste Wanderung kommt bestimmt.
Geben ist seliger als nehmen, doch das Nehmen kann schwer sein
Als ich gestern in Montcuq ankam, saßen die Lothringer bereits beim Essen in einem Gartenlokal. Sie winkten mich herbei. Beim Wein haben wir uns nett unterhalten. Ich bekam Hunger. Erlaubt die Reisekasse ein Steak? Es schmeckte vorzüglich. Erlaubt die Reisekasse auch noch einen weiteren Wein? Beschwingt machte ich mich auf zum Campingplatz. Das Zelt muss noch aufgebaut werden! Es ist spät, der Verwalter hat seine Zelte bereits abgebrochen. Dadurch habe ich Geld gespart und die Reisekasse entlastet. Es war sinnvoll, noch einen weiteren Wein bestellt zu haben. Bauern verkaufen köstliche orangefarbene Quercy-Melonen. Bei der Hitze wäre mir eine eisgekühlte Wassermelone lieber gewesen, ich bin aber froh, überhaupt etwas kaufen zu können. Mein Fuß stichelt, doch der Schmerz ist am Abklingen. Einsalben war nicht notwendig gewesen.
Der rote „Rother Wanderführer“ verwendet Symbole, um Post, Restaurant oder Apotheke anzuzeigen. Das Zeichen „Einkaufswagen“, bezeichnenderweise ein leerer, soll auf „Laden/ Supermarkt“ hinweisen. Von einem
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