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Heiter. Weiter.

Heiter. Weiter.

Titel: Heiter. Weiter. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Heininger
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verwandelte die müden Pilgerbeine in schwingende Tanzbeine. So stellt man sich Frankreich vor! Ich war glücklich. Ich dachte an Kerstin und daran, einmal mit ihr hierher zu kommen. Sie fehlte mir sehr. Das war 2004. Jetzt bin ich wieder hier, wieder ohne Kerstin. Kerstin wird nie mit mir hierher kommen. Unsere Wege haben sich getrennt.
    Nachdenklich sitze ich im Schatten der Kastanien vor dem heute leeren Lokal und beobachte die unermüdlichen Schwalben. Keine Musette bringt mein Gemüt zum Tanzen. Damals bin ich von Gelnhausen bis nach Santiago gegangen. Und weiter bis Fisterra. Ich hatte Glück, genügend Zeit und Geld zur Verfügung zu haben. Und Kerstins Verständnis. Jetzt muss ich niemand mehr fragen.
    Doch dieses Mal will ich weiter! Jetzt verrate ich meinen großen Plan: Von Sevilla führt die „Via de la Plata“ nach Santiago: der Pilgerweg, der die Gläubigen vom Süden Spaniens zum Grabe Jakobus im Norden führt. Und diesen Weg will ich gehen, aber in umgekehrter Richtung. Und anschließend von Sevilla bis nach Gibraltar. Von da kann man bei gutem Wetter Afrika sehen. Von Gelnhausen bis nach Afrika - zu Fuß! Das wird die längste Wanderung meines Lebens.

Wichtig ist, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren

    Krankheit, Trennung, nicht mehr Weiterwissen sind Gründe für eine Pilgerwanderung. Hoffnung auf Neuorientierung, Aufbruchstimmung - auch das bringt Menschen auf Trab. Der Wunsch umzukehren vom bisherigen Weg lässt manchen einbiegen in den Jakobsweg. Wichtig ist, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren.
    Mercedes Gleitze schwamm 1928 als erste Frau von Europa nach Afrika - durch die Meerenge von Gibraltar. Und später durch die Dardanellen von Europa nach Asien. Bei einem weiteren rekordverdächtigen Schwimmversuch, ich glaube vor der Küste Kaliforniens, geriet sie in eine dichte Nebelbank, schwamm trotzdem weiter und musste dann doch noch aufgeben. Als sie in das Begleitboot gehoben wurde, fragte sie, wie weit das Ufer entfernt sei. „Nur fünfhundert Meter“, war die Antwort der Helfer. „Warum haben Sie nicht weitergemacht, Sie sind doch noch fit!“ „Ich konnte mein Ziel nicht mehr erkennen.“
    Mein Weg heute wird knallhart. Bei ungefähr 35 Grad sind 35 Kilometer zu bewältigen. In Castet-Arrouy bin ich zeitig gestartet und gönne mir nur in Lectoure eine kurze Pause. Einige Pilger sind unterwegs, unser Thema ist die geschlossene Herberge in La Romieu. Bis Marsolan folge ich der Wegempfehlung parallel zur Straße, doch dann schwenke ich in eben diese Straße ein. Ich werde heute bis nach Condom wandern. Ein Sprinkler, der den Mais bewässert, duscht alles, was sich ihm nähert. Doch es besteht noch eine andere Möglichkeit, wieder frisch zu werden: In französischen Supermärkten gibt es nicht die gewohnten Plastiktüten à la Aldi, an der Kasse wird in dünne Zellophanbeutel eingetütet. Man bekommt auch Taschen aus Kunststoff. Die sind zwar teuer, doch stabil. Und sehen chic aus. Ich hole mit dem wasserdichten Behältnis Wasser aus einem Brunnen und begebe mich ins diskrete Gebüsch. Eine kühle Dusche! Der Pilger ist wieder sauber, die Tasche auch.
    In Condom warten mehrere Pizzabäcker auf Gäste. Auch ein Pizza-Automat ist aufgestellt, man muss mit Bankkarte bezahlen - Pizza à la carte. Eine Kreation namens „Maya“ ist heute im Angebot. In dreißig Minuten soll die erwählte Pizza fertig sein. Sitzt da einer im Automat?
    Nach einem harten Wandertag braucht der Pilger beim Abendessen nicht die Kalorien zu zählen. Das Wandern verändert nicht nur das Denken, sondern auch den Körper: Fett schwindet, dafür werden die Waden stärker. Der Jakobusweg verändert neben dem Inneren auch das Äußere.
    Ich hätte gerne im kleinen Restaurant gegessen, das ich von 2004 her kenne. Ich hatte mich so darauf gefreut. Doch selbst dessen heutiger Ruhetag bringt mich nicht aus der Ruhe. Denn: Der Jakobsweg lässt sich nicht planen. Wer versucht, ihn zu planen, nimmt sich Sinn und Zweck des Weges.

Gîte - ein Dach über dem i und ein Dach über dem Kopf

    Wanderer überholen mich und fragen, ob es mir gut gehe. Sie wundern sich, weil ich so langsam laufe. Ich bin sauer. Nicht weil sie mich überholen, sondern weil sie mich so dämlich fragen. Ich hätte sie fragen sollen, ob es ihnen gut geht, weil sie so rennen. Ja, der Fuß schmerzt gewaltig. Ich kann nicht so schnell laufen, komme dennoch voran, halt langsam.
    Langsam mache ich mir Gedanken: Was kann da passiert sein? Ein Bruch

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