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Heiter. Weiter.

Heiter. Weiter.

Titel: Heiter. Weiter. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Heininger
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tot!“ Ihr Mann meint dagegen trocken: „Ich brauche keinen Doktor, ich sterbe eines natürlichen Todes!“ Einen Doktor. Heute Morgen habe ich daran gedacht, einen Arzt zu besuchen. Der Fuß schmerzt. Ja, es ist der Fuß, der mich vor Tagen und Wochen in Neuenburg zu einer Zwangspause drängte. Doch ich möchte keinen weiteren Ruhetag einlegen, ich will bis zu den Pyrenäen durchwandern. Es wäre aber sicher sinnvoller, rechtzeitig zum Arzt zu gehen und nach einer wirksamen Salbe zu fragen.
    Mittags ist der Schmerz vergessen. Sommerliches Wanderwetter hebt die Stimmung und die Füße. Eine Eidechse lugt aus der Blumenpracht hervor, lächelt mit mir. Selbst im Schatten staut sich die Hitze. Zitronen sind seit Tagen fester Bestandteil meines Proviants: Ein beherzter Biss hinein löscht den Durst, ein Saftspritzer peppt abgestandenes Trinkwasser auf und lindert Insektenstiche.
    Hoch über dem Fluss thront Saint-Cirq-Lapopie. Die einstmaligen Bewohner drechselten aus Holz Hähne für Fässer. Im kleinen Museum erfahre ich, dass hier einmal 1500 Menschen lebten. Doch heute ist der Ort bis auf vielleicht zwanzig Personen verlassen. Dafür steht das Dorf jetzt unter Denkmalschutz. Da, wo einst die Drehbänke der Drechsler standen, beleben heute Künstler, Gastronomen und Händler die alten Werkstätten -in den Sommermonaten. Nichts darf verändert werden, auch die Museumsleiterin ist noch genauso unfreundlich wie bei meinem ersten Besuch. Tagestourist: „Eine Eidechse hatte mit Ihnen gelächelt? Bei der Hitze immer schön den Hut aufbehalten!“
    Mit seiner gotischen Architektur wirkt das Dorf wie aus einer vergangenen Welt. Ich spaziere zwischen Mauern und Fachwerkhäusern durch enge Gassen. Ich bin fasziniert, doch auch nachdenklich. Hier lebten und arbeiteten einst Menschen! Ihr Handwerk, ihr Können war auf einmal nichts mehr wert. Moderne Techniken hatten die Drechsler überflüssig gemacht. Sie mussten ihr geliebtes Saint-Cirq-Lapopie verlassen, aufbrechen in eine neue, ihnen unbekannte Welt. Sie verließen ihre Heimat mit nichts als Gottvertrauen. Wie mancher Pilger. Ich erinnere mich an das geschnitzte Holzpferdchen im Museum. Es wurde zurückgelassen. Was ist aus dem Kind geworden?

Von anisgelben Schmetterlingen umflattert gehe ich zur Weinprobe

    Saint-Cirq-Lapopie schläft noch, so früh bin ich auf der Walz. Aus der Gîte drängen die ersten Rucksackbepackten hinaus in die frische Morgenluft. Niemand auf der Gass, den sie nach dem Wanderweg fragen könnten. Ich marschiere auf der Chaussee. Kaum ein Auto befährt die D8, ich habe die Straße fast für mich allein. Hin und wieder entdecke ich bienenkorbähnliche Häuschen aus Steinen, früher Unterstände der Hirten. Kunstwerke. Bald bin ich über den Berg, aber noch lange nicht am Ziel. Es ist wieder verdammt heiß.
    Heute ist der 25. Juli, der Jakobstag! Jakobus hat als Schutzpatron ganz Spanien zu betreuen, ist aber auch für die Pilger da. Und für Berufe, die dem Pilger hilfreich sein können: Hut- und Kerzenmacher, Apotheker und Drogisten. Jakobus kann man um gutes Wetter bitten und anrufen bei Rheuma - für Blasen an den Füßen ist er aber nicht zuständig. Und verantwortlich. Nein, Blasen habe ich nicht. Doch der Schmerz ist wieder da. Schmerz - das ist übertrieben. Es schmerzt. Etwas. Wenn man tagtäglich wandert, weit wandert, da drückt immer mal etwas, der Tragegurt vom Rucksack oder der Schuh. Nicht so schlimm, das stecke ich doch weg. Ich habe entdeckt, wo der Schmerz herrührt: Das Leder meines Schuhs scheuert am Fuß, warum auch immer. Möglicherweise ist durch die Neubesohlung eine peinigende Stelle entstanden. Ich werde erneut einen Schuster aufsuchen, der soll mal nachsehen. Ein Pilger erzählte, Jakob bedeute „Fersenhalter“. Der Jakob aus dem Alten Testament hätte bei der Geburt die Ferse seines Zwillingsbruders Esau gehalten. Mein Schmerz sitzt weiter vorne.
    Cahors. Die aparte Stadt ist für mich wichtiges Etappenziel. Die zwei Monate, die ich benötige, um von der deutsch-französischen zur französisch-spanischen Grenze zu gelangen, habe ich mir in vier etwa gleichlangen Etappen eingeteilt. Beaune, Le Puy-en-Velay, Cahors und St.-Jean-Pied-de-Port sind die jeweiligen Endpunkte. Das bedeutet, in Cahors habe ich drei Viertel meines Weges durch Frankreich zurückgelegt.
    Nicht unbedingt ein Anziehungspunkt für Pilger dürfte das „Musée de la Résistance “ hier in Cahors sein. Für mich ist es jedoch ein Ort der Besinnung und

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