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Heiter. Weiter.

Heiter. Weiter.

Titel: Heiter. Weiter. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Heininger
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zweiten Glas, eins für den Wein und eins für das Wasser. Doch zum Pilgermenü gibt es nur ein Glas. Ansonst herrscht Vorfreude am Tisch. Man tauscht sich aus, wo man herkommt, wo man begonnen hat. Die Pyrenäen-Bezwinger fragen die Roncesvalles-Beginner: „Ach, erst ab hier?“
    Zum Tagesabschluss noch ein Glas Wein an der Bar, ich muss meine Baskisch-Kenntnisse vertiefen. Eine Sprache lernt man nur durch ständiges Wiederholen - einer Bestellung beispielsweise. Ein Kölner berichtet, die Eintracht hätte gewonnen. Zum zweiten Mal an diesem Tag haben sich meine Abstiegssorgen zerstreut. Der Wirt schenkt mir den Rest der Weinflasche und auch gleich ein. „Eskerrik asko“ - vielen Dank.

Augenbinde und Ohrenstöpsel sind das A & O für erholsame Nächte

    Aufwachen in der Herberge. Manchen Pilger hat die Kapazität der Unterkunft - es sollen hier 100 Betten bereitstehen, ich habe sie jedoch nicht gezählt - abgeschreckt. Sie übernachteten lieber im uns bereits bekannten „La Posada“, das bedeutet auf Spanisch „Gasthaus“, oder in der „Casa Sabina“. Doch die gewaltigen Ausmaße der Pilgerherberge, auch nach oben, lassen keine Engegefühle entstehen. In der Nacht werden wir mit ausreichend Frischluft versorgt. Sogar ein pilgernder Pfarrer in schwarzer Soutane ist mit dabei im Schlafsaal. Die beiden Japanerinnen in den Betten gegenüber hatten sich nicht nur mit dem A & O einer ungestörten Nachtruhe, Augenbinden und Ohrenstöpsel, vorbereitet, sondern auch mit einem Mundschutz.
    Aufbruch. Es nieselt leicht. Die hinter uns liegenden Berge sind mit dunklen Wolken verhangen. Die Karawane der Pilger stapft zuversichtlich voran. Das Schlimmste haben sie ja bereits am Vortag überstanden: den Pyrenäen-Pass. Ohne Höhenangst, man bewegt sich auf breitem Weg. Keine alpine Erfahrung ist gefordert, nur genügend Kondition. Auch ältere, ungeübte Wanderer haben es geschafft - und es sind einige unterwegs. Der Ausdruck „Seniorenpass“ bekommt hier eine ganz neue Bedeutung.
    Ein Engländer und ein Franzose überholen mich, halten kurz an, um mir mitzuteilen, sie hätten heute eine 50-Kilometer-Etappe vor sich. Der Wanderführer erwähnt hier Rolands Trittsteine, die Schrittlänge eines Riesen. Ich lasse mir Zeit, lasse den Weg und Natur auf mich wirken. Ich bin glücklich, wieder wandern zu können.
    In den Dörfern wartet meist ein geöffnetes Café auf die wandernde Kundschaft. Hier treffe ich auf einen Pilger, der vom Schicksal hart getroffen wurde: Man hatte ihm in Roncesvalles den Stempel falsch herum in den Ausweis hineingestempelt. Auch noch sein allererster Stempel!
    Am Weg entdecke ich über dreißig Prozessionsspinner-Raupen, eine hinter der anderen krabbelnd - wie eine Pilger-Polonäse. Nach einigen Metern finde ich die toten Mitglieder einer anderen Raupen-Kette: Zermalmt von einem Wander- oder gar Pilgerstab.
    In Zubiri verspeise ich in der Bar „Valentin“ ein Stück Hirsch-Chorizo aus der sich im Nebenraum befindlichen Metzgerei. Eine gute Wahl! Später treffe ich keine gute Entscheidung: Ursprünglich wollte ich in der Gemeindeherberge übernachten, aber der Wanderführer preist die private Herberge „Zaldiko“. In den Zimmern stehen zwar nur acht Betten, doch der enge Raum lässt kaum Bewegung zu. Das Fenster ist nicht kippbar - so liegen wir in unserem nächtlichen Mief, immer wieder aufgeschreckt durch peinliche Geräusche aus der nahen Toilette.

Der heutige Pilger trifft nur selten auf entgegenkommende Pilgerkollegen

    Pilger in früherer Zeit waren oft allein auf dem Weg. Schlecht ausgerüstet, barfuß vielleicht. Wenige Herbergen boten Unterkunft. Harte Zeiten - doch Teil der Pilgererfahrung. Die gut ausgestatteten Pilger unserer Tage finden allerlei Übernachtungsmöglichkeiten: Herberge, Hostal oder Hotel, Privatunterkunft, Pension oder Parador. Und im Sommer begleiten ihn Pilgermassen, dicht an dicht auf dem Weg, dicht an dicht im Schlafsaal. Harte Zeiten - doch Teil der Pilgererfahrung.
    Ich verlasse Zubiri, reihe mich ein in den Pilgerstrom in Richtung Santiago. Ein Vorteil, den Pilger früherer Zeiten hatten, waren die sich auf dem Heimweg befindenden Kollegen. So konnte man sich austauschen über Herbergen, Gefahren und Wegverlauf. Heute wird nach Santiago gepilgert, aber zurück geht es per Flugzeug. Niemand kommt einem entgegen. Selbstverständlich sind viele Menschen unterwegs entgegenkommend, doch das habe ich nicht gemeint. Einst sprach sich auf diese Weise herum, welcher

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