Heiter. Weiter.
Galicien angebaute weiße Rebsorte Albarino soll von Mönchen aus dem Rheintal mitgebracht worden sein. Umgekehrt haben Pilger auf der Iberischen Halbinsel Korkstopfen kennen gelernt und in ihrer Heimat bekannt gemacht.
Der Wein zum Pilgermenü ist von einfacher Qualität, er schmeckt aber der internationalen Tafelrunde beim fröhlichen Pilgermenü. Nur ein Kanadier stochert traurig in den Nudeln: Seine Füße sind blasenübersät, er hatte sie nagelneuen Schuhen anvertraut. Bis in den Ort hierher hat er sich gequält, aber die Schmerzen sind zu stark geworden. Er befürchtet, seine Wanderung beenden zu müssen. Ich kenne dieses Untergangsstimmung.
Mein Problem, das sich einem Pilger eigentlich gar nicht stellt
Die beiden Lokale in Azofra haben so früh am Morgen noch geschlossen, da bleibt nur der Kaffee-Automat in der Herberge. Oder die Vorfreude auf eine Einkehr unterwegs. In der Morgensonne führt der Weg fröhlich durch Felder und Reben nach Cirueña. Hier ist die Zeit fürs Frühstück gekommen. Die Bar liegt gegenüber der Kirche, wenige Meter vom Weg entfernt. Kommen deshalb nur so wenig Pilger in die blitzeblanke Bar? Der Wirt ist fast schüchtern.
Ich erreiche die Hühnerwunder-Stadt Santo Domingo de la Calzada. Die Legende ist schnell erzählt: Mutter, Vater, Sohn pilgern nach Santiago. In Santo Domingo machen sie Station. Die lüsterne Bedienung im Wirtshaus, vom Sohn zurückgewiesen, versteckt aus Rache einen Silberbecher in dessen Gepäck. Am nächsten Tag wird der Becher entdeckt und der Junge gehängt. Traurig wandern die Eltern weiter. Auf ihrer Rückreise kommen sie an dem Galgen wieder vorbei. Ihr Sohn lebt noch! Der Heilige hatte ihn gestützt. Die Eltern eilen zum Richter, der sich gerade über zwei gebratene Hühner hermachen will. „Er lebt noch? Dummes Zeug, der ist genauso lebendig, wie die Hühner hier!“ Doch die flattern vom Teller. Der unschuldige Sohn wird vom Strick befreit und das nicht mehr unschuldige Mädchen dafür aufgeknüpft. Zur Erinnerung werden in der Kathedrale im Käfig Hahn und Henne gehalten. Nachdenklich verlasse ich den Ort, nicht ohne im Rucksack nachzuschauen, ob da nicht etwa ein Becher ...
Bald schon stehe ich vor der Herberge in Grañón. Und vor einem Problem: Die Herberge gilt als eine der wenigen am Weg, in der der christliche Glaube gelebt wird. Hier wird gemeinsam gekocht, gegessen - sicher auch gebetet. Wie soll ich mich da verhalten? Ohne zu verletzen? Mitbeten - das wäre nicht ehrlich. Schweigend dabei sitzen? Es ist noch früh, ich gehe weiter. Ich habe noch ein paar Tage Zeit, über Glaubensfragen nachzudenken. Und ein paar Seiten offen, diese Gedanken aufzuschreiben.
Meinen Aufenthalt in Redecilla del Camino vor fünf Jahren hatte ich in guter Erinnerung und wollte da wieder übernachten. Die Herberge macht einen freundlichen Eindruck, die Hospitalera auch. Es wird um eine Spende gebeten, ich stecke sechs Euros in die eingemauerte Spardose. Ich habe Hunger. In der Herberge gibt es eine Bar. Die Bedienung sitzt vor dem Ofen und schaufelt Sahnetörtchen in sich hinein. „Nein, hier gibt es nichts zu Essen. Die andere Bar hat einen Laden.“ Ich suche die „otro bar“. Der Laden ist dunkel, die Wirtin spricht kein Wort, schaltet nicht das Licht ein. Schemenhaft nehme ich das Warenangebot wahr: ein verwelkter Salatkopf, ein einsames Brot, Konserven. Ich kaufe nichts. Ich packe meine Sachen zusammen und wandere noch weiter bis nach Belorado.
Auf Abwegen befriedige ich ein sehr drängendes Bedürfnis
Da ich gestern bis Belorado gegangen bin, hatte ich fast dreißig Kilometer aufs Parkett gelegt. Dafür wird es heute eine kurze, gemütliche Etappe werden. In aller Ruhe mache ich mich an den Aufbrach.
Die Pilger haben ihre Siebensachen gepackt. Wären es nur sieben! Ein neuer Wandertag wird angepackt. Vor dem Loslaufen stehen die meisten in einer Schlange vor der Toilette. Mir ist das nichts. Ich möchte mein Geschäft in Ruhe verrichten. Und nicht im Mief. Später werde ich irgendwo den Weg verlassen und dem Buschwerk eine unverhoffte Kompostdüngung zukommen lassen. Doch vor und hinter mir sind Pilger, kein Gebüsch verspricht Deckung. Mein Verdauungstrakt möchte endlich das gestrige Menü II loswerden. Was tun? Ein Pfad biegt vom Pilgerweg ab - nach zweihundert Metern zeigen sich Reste eines Stalles: ein verschwiegenes und stilles Örtchen. Nichts wie hin!
Rufe. Pfiffe. Ich schaue in Richtung meiner Nachhut. Sie deuten, gestikulieren wild.
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