Heiter. Weiter.
aufgeladen. Den hätten sie dann fast hundert Kilometer zu einer am Weg gelegenen Kalkbrennerei geschleppt. Der Kalk wurde zum Bau der Kathedrale in Santiago verwendet. Heute wäre man froh, wenn die Pilger wenigstens ihren Abfall bis zum nächsten Papierkorb mitnehmen würden.
Auch ich schleppe eine Last mit mir herum: Ich habe geflunkert! Es gibt a) keine Urkunde der Taxivereinigung und b) keine mit Kampfhähnen gekreuzte Großhuhnrasse in La Faba. Steile, steinige, schlammige Steige wechseln sich ab mit bequemen Wegen durch eine traumhafte Landschaft, getupft mit Blumen in Rot und Gelb. Herbststimmung breitet sich über Galicien und die Pilger. Im Tal hängt Zauberwaldnebel. Unterwegs verführt das „Casa do Franco“. Dennoch bin ich überraschend schnell in Sarria . Hier will ich nicht übernachten, es ist noch früh am Tag.
Am Nachmittag brennt die Sonne vom Himmel. Die Temperatur steigt hochsommerlich. War es ein Fehler, weiterzuwandern? In Barbadelo rettet mich eine Zeltbar mit Mineralwasser, gemischt mit „kas limón“, einer äußerst künstlichen, aber schmackhaften Chemie-Limonade. In den Löchern einer verwegenen Eiche wachsen Farne und bilden so einen eigenen kleinen Wald.
Unterwegs entdecke ich den berühmten 100-Kilometer-bis-Santiago-Stein. Beschmiert. Ob es von hier tatsächlich noch 100 Kilometer sind, ist genauso dahingestellt wie der Stein selbst.
Bald bin ich in Rente. Hier, wie auch in Morgade, gibt es Privatunterkünfte, die in der „Paderborner Liste“ empfohlen werden. Ich möchte aber in der Herberge in Ferreiros übernachten. Die „Liste“ weiß, hier wird keiner aufgenommen, der erst in Sarria gestartet ist. Doch ich werde eines Besseren belehrt: Im Biergarten neben der Herberge thront ein dicker Mensch im Feinripp und Bierdunst. Aufreizend ruft er Neuankömmlingen zu: „Alles belegt, ihr könnt wieder abhauen!“ Ich gönne ihm nicht den Triumph, täusche eine lang geplante Rast vor und erfahre, der Feinripper ist in Sarria gestartet, andere Herbergsgäste auch.
Ich wollte hier übernachten, weil kein Kilometer entfernt ich 2004 das Restaurant „Mirallos“ entdeckt hatte, in dem man gut essen, aber nicht übernachten konnte. Jetzt wird es erneut nichts mit einem Essen werden! Traurig marschiere ich in Richtung Gasthaus. Doch welche Überraschung: Im „Mirallos“ hat man inzwischen ein gediegenes Matratzenlager eingerichtet - die Übernachtung ist gratis! Als mein Abendessen aufgetischt wird, wird mir klar, warum im Speiseraum ein Fitness-Gerät aufgestellt ist.
Erneut zeigt sich, dass der Camino nicht planbar und auf dem Jakobsweg alles möglich ist.
Schweiß und Rost befreien den Bußwallfahrer von seiner Bürde
Im Schlafraum lagen die Pilger dicht an dicht auf dem Boden. Um zur Toilette zu kommen, musste ich mich zwischen den Schlafenden hindurchschlängeln. Ich musste auch steigen, aber ich kam gut über die Runden. Und über die Dünnen. Die Übernachtung in Ferreiros wird mir dennoch in guter Erinnerung bleiben.
Nach dem gestrigen Gewaltmarsch ist heute nur eine kurze Strecke geplant. Das hat auch den Vorteil, dass ich auf jeden Fall ein Herbergsbett bekomme. Viele Wanderer sind jetzt auf dem Weg. Wanderstrom - dieser Begriff hat für mich seit heute eine zweite Bedeutung: Einer hat eine kleine Solaranlage auf seinem Rucksack montiert. Das Bestreben, jedes überflüssige Gramm einzusparen, scheint ausgeschaltet bei der Aussicht, irgendetwas einzuschalten. Lass den Sonnenschein lieber hinein in dein Herz: Let the sunshine in, let the sun shine in. Die Herberge Mercadoiro ist ein Haus mit Herz und Sonnenschein und Restaurant. Die Pilger, die hier eher zufällig übernachtet haben, waren begeistert von den liebevoll restaurierten Räumen. So wird das Pilgern zum Vergnügen, zum Freizeitspaß.
Das Mittelalter kannte die Straf- und Bußwallfahrt. Sowohl Kirche als auch weltliche Richter verhängten für bestimmte Vergehen die Pilgerwanderung nach Santiago. Mancher Verurteilte musste sich gar in Ketten auf den beschwerlichen Weg machen. Viele werden das Ziel nicht erreicht haben, waren sie doch nun selbst ein leichtes Opfer für Räuber. Hatten sie Glück, befreite sie der durch Schweiß hervorgerufene Rost von der Bürde. Mancher versuchte sich auf diesem Wege davonzustehlen vor Verurteilung und Strafe. Auch heute kann man Pilger erleben, die rasen, als wäre der Gerichtsvollzieher hinter ihnen her. Nicht gerast bin ich und doch dank der heutigen Kurzstrecke früh
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