Heiter. Weiter.
Dolores und ihrer Bar mit Lädchen meine Aufwartung. Etwas Obst und Käse aus Arzúa wechseln den Besitzer. Überraschend ist der lauschige Garten gut mit Pilgern besetzt: ausschließlich Spanier. Drei zarte Madrileñas erlauben sich eine ganze Flasche Weißwein. Unglaublich.
In O Coto eine weitere Überraschung: Das Hotel „Die zwei Deutsch“. Das Inhaberehepaar hatte in Deutschland gearbeitet und bekam von Nachbarn den grammatikalisch holprigen Spitznamen. Vom Ersparten haben sie das Hotel eröffnet. Der Sohn betreibt direkt am Weg ein gutgehendes Café mit ähnlichem Namen. Vorm Nebenhaus laden Stühle zur Einkehr, doch Pilgern ist es zu schmuddelig. Ich, gut wie ich bin, mache Carmen und ihrer Bar mit Lädchen meine Aufwartung. Es ist mein zweiter Besuch hier. Ich bin angetan von der großen Herzlichkeit und den kleinen Preisen.
Die Kirche von Furelos besitzt ein ungewöhnliches Kruzifix: Christus ist mit der linken Hand ans Kreuz genagelt, seine rechte streckt er hinunter. Reicht er sie dem Betrachter? Will er ihm in den Himmel helfen? Die Legende berichtet, Jesus habe einer betenden Frau die Hand gereicht und gesagt: „Du bist die Einzige, die nicht für sich selbst betet. Du batest um Heilung deines kranken Sohnes, hast dein Leben zum Tausch geboten. Dein Kind wird geheilt und du wirst weiter leben.“ 2004 war ich hier, doch heute ist die Kirche verschlossen. Es heißt, der neue Pfarrer öffne sie nur noch zum Gottesdienst. Schade, mich hatte die Darstellung sehr beeindruckt. Melide wird für viele durch die Pulpería „Ezechiel“ in Erinnerung bleiben. Der Tintenfisch ist trotz des Pilgermassenandrangs immer noch erstklassig. Empfehlenswert ist es, zum Pulpo Kartoffeln, „patatas“, zu verzehren. In der schönen Herberge von Ribadiso da Baixo übernachtet es sich gut. Sie liegt direkt am Fluss Iso. Ob hier Pilger, die kein Bett bekamen, die gleichnamige Matte erfanden? Jesus streckt die Hand aus. Reicht er etwa mir die Hand? Ich erinnere mich, was der Elsässer damals zu mir in Auvillar gesagt hatte: „Du musst lernen, Geschenke anzunehmen. So wie du lernen musst, die Religion anzunehmen, Gott anzunehmen.“
Goethe wusste es: Die Flöh’ und Wanzen gehören auch zum Ganzen
Man merkt es nicht gleich: Die Insekten betäuben die Einstichstelle und können so in aller Ruhe Blut saugen. Am nächsten Morgen sprechen die Hautrötungen eine deutliche Sprache: Wanzen! Manchmal juckt es. Auf der Mauer, auf der Lauer, sitzt ne kleine Wanze - aber auch im Herbergsbett. Der Pilger ist machtlos, der Hospitalero muss die Herberge schließen und darf nur noch dem Kammerjäger öffnen. Selbst in sauberen Häusern werden die Viecher per Rucksack eingeschleppt. Ein Pilger leistete sich unterwegs ein Hotelbett - ausgerechnet da ist er Opfer geworden. In manchen Herbergen werden deshalb Einweg-Bezüge ausgegeben. Da hat sich der Pilger große Sorgen wegen bissiger Hunde gemacht und landet in einer mit Wanzen gespickten Herberge -als wäre der Hospitalero vom BND. Dem Pilger juckt das nicht, er hält es mit Goethe: „Die Flöh’ und Wanzen gehören auch zum Ganzen!“
Wie die meisten Pilger bin ich bisher verschont geblieben. Auch in Ribadiso da Baixo gab es keinen Befall-Vorfall. Mehr bedrückt mich, dass ich schon so bald in Santiago sein werde. Nur die Sonne strahlt. Ich lege heute noch einmal eine große Kilometerleistung aufs Parkett. Das hatte ich gar nicht geplant, ich wollte schon in Santa Irene oder aber spätestens in Pedrouzo übernachten. Doch ich möchte, will und kann gar nicht mehr mit dem Laufen aufhören! Aber eine Pause muss jetzt sein.
Ich versinke im Gesicht der Frau. Es ist ein ausgezehrtes Gesicht. Es zeigt Arbeit, Sorgen, Freude. Und Hoffnung. Das Gesicht ist eingefangen in einer Fotografie, schwarz-weiß und wunderschön. Die Großmutter der Wirtin? Da erkenne ich: Auch ein Gesicht ist eine Landschaft, hart und lieblich zugleich. Ich erkenne in den Falten Pfade und Wege, Höhen und Abgründe. Die Wanderwege in den Winkeln ihres sanft lächelnden Mundes vereinen sich an einem Punkt, so wie die Rillen der Jakobsmuschel.
Ich habe erkannt, wie herrlich es ist, mit wenig Gepäck und auch mit wenig Geld unterwegs zu sein. Das Einfache genießen, weniger ist mehr. Meine Wanderung bestand aus Tagen voller Glück. Was ist der Strand von Ipanema gegen den Pass von Ibañeta? Monte Carlo gegen Monte do Gozo? Die riesige Herbergsanlage ist ausgestattet mit kleinen Zimmern. Es ist nicht das von vielen
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