Heiter. Weiter.
der Kuhscheiße. Vor dem Lokal. Innen ist auch eine Herberge eingerichtet - eine Unterkunft für Wanderer, die fürchten, dass die Herberge in O Cebreiro schon komplett ist.
In einer langen Schlange warten da die Pilger vor dem großen und modernen Haus, bis der Hospitalero ihren Ausweis abstempelt, Kissen- und Bettbezug aus Mikrofaser zur Einmalnutzung aushändigt und sie willkommen heißt. Im kleinen, recht touristischen Ort werden auch Hotel- und Privatzimmer angeboten. Nebel taucht die grauen Häuser, die aus ferner Zeit stammen, in mystische Bilder. Pilger sollen sich schon gefürchtet haben und gleich mit dem Bus weitergefahren sein. Ich fürchte lediglich, das Abendessen im Restaurant „Venta Celta“ von der Menge her nicht zu schaffen. Mit am Tisch sitzen Iren und Basken, es wird ein unterhaltsamer Abend. Nachts muss ich auf die Toilette. Oh, je - alles ist total verdreckt. Dagegen waren die Kuhfladen vor der Bar nichts. Warum kann man seine Spuren nicht beseitigen? Wer war das? Wer hinterlässt schmutziges Geschirr in der Küche? Den Unrat unterm Bett? Es sind Mitpilger, vielleicht die netten, mit denen man sich unterwegs so gut verstanden hatte. Aber Schmutzfinke sind die Ausnahme. Die meisten unserer Wegbegleiter sind freundlich, rücksichtsvoll und hilfsbereit.
Martin Luther schrieb auch: „Mit einem guten Kumpan ist gut wandern, denn einer hilft dem andern seine Bürde tragen.“ Wo kann man besser die Wahrheit der Aussage erkennen, als auf einer Wanderung auf dem Jakobusweg?
Durch Gehetze vermiest man sich die Freude am Jakobsweg
In Paris, London, San Francisco soll der Gebrauch von Plastiktüten eingeschränkt werden, in China dürfen sie nicht mehr kostenlos abgegeben werden, Australien plant ein Verbot. Und in Spanien? Hier wäre ein Verbot in Pilgerherbergen wünschenswert, zumindest in der Zeit von vier bis sieben Uhr. Früh bin ich aus meinem Bett gekommen, Grund war kein rasselnder Wecker, sondern ein raschelnder Wecker. So komme ich zunächst in den Genuss eines Sonnenaufgangs und dann eines Frühstücks im „Venta Celta“ in O Cebreiro.
Erneut sind ein paar Höhenmeter zu überwinden. Auf dem Pass warten zwei Gaststätten, nur von der Straße getrennt. Die meisten Pilger machen Rast und besuchen das erste Lokal am Platz. Ich gehe aus Tradition und Gerechtigkeitsgefühl ins zweite.
Manche hetzen aus Angst, kein freies Bett mehr zu finden. Andere würden gerne am Spätnachmittag weiter wandern, machen aber Schluss mit ihrem Tagespensum, weil sie wissen, hier im Ort ist die Herberge noch nicht voll. Ein junger Deutscher in weißen Tennissocken und Turnschuhen ist überraschend vernünftig: „Ich richte mich nicht mit meinem Tempo nach der Suche von Herberge und Schlafplatz. Durch das Gehetze vermiest man sich die Freude am Weg.“ Radfahrer im Sporttrikot stürzen den Pfad nach Triacastela hinunter. Um Gewicht zu sparen, haben sie auf Unsinniges wie eine Klingel verzichtet, können so den in guten Gedanken versunkenen Pilger von der ihnen gegebenen Vorfahrt, da gerädert, nicht kundtun. Sie sollten Kuhglocken tragen.
War mein Urteil jetzt zu ungerecht? Auf dem Weg habe ich das Loslassen gelernt. Loslassen sollte man auch die eigene Auffassung von dem, was ein echter Pilger ist, wie lange er unterwegs sein soll und wie er den Weg zurückzulegen hat.
Im Tal hängen Wolken, ich schwebe darüber. Vor einem Hof werden Himbeeren in Plastik-Kästchen angeboten. Den einen Euro zahle ich gerne. Gefreut über die Vitamine haben sich auch andere, die leeren Schalen liegen auf dem Weg. Doch am Weg liegt auch die über achthundert Jahre alte Edelkastanie, die im Rother Wanderführer abgebildet ist.
Die Mauer spendet Schatten, die Bank davor Platz. Ausgestreckt betrachte ich die Steinquader, folge den Fugen. Die Fugen werden zu Gassen, Gassen zwischen Häusern. Die Mauersteine sind Häuser, von oben gesehen. Jetzt erkenne ich, die Gassen sind unterschiedlich: Manche schmal, da passt kein Fuhrwerk hindurch. Andere sind breit: Ihre Anwohner bezeichnen sie sicher stolz als „Straße“. Einige sind steil, Treppen erkennbar. Ich entdecke überall Wege. Da und dort fehlt ein Stein: Plätze. Bei einem Stein ist die Ecke abgeplatzt, vergrößert die Kreuzung. Ich erkenne es genau: Es ist der kleine Biergarten einer Eckkneipe.
Nichts ist planbar auf dem Jakobsweg, doch alles ist möglich
Oft ist zu lesen, einst hätte man den Pilgern in Triacastela einen Brocken Kalk aus dem dortigen Steinbruch
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